Dreikönigsgemeinde

Angebote und Themen

Herzlich Willkommen! Entdecken Sie, welche Angebote der Dreikönigsgemeinde zu Ihnen passen. Über das Kontaktformular sind wir offen für Ihre Anregungen.

Was mache ich, wenn...
Menümobile menu

Sommerpredigt 2023

Gottesdienst am 13.08.2023 am 10. Sonntag nach Trinitatis in der Bergkirche

Audio-Predigt zum Gottesdienst am 10. Sonntag nach Trinitatis am 13.08.2023 aus der Bergkirche

Liturgie und Predigt: Pfarrer Jürgen Seidl

Predigt, Matthäus 5,43 - 48

In unserer Sommerpredigtreihe zur Bergpredigt, liebe Gemeinde, geht es heute um das Gebot der Feindesliebe. Im 5. Kapitel des Matthäusevangeliums sagt Jesus:

Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Du sollst deinen Nächsten lieben« und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? Und wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes? Tun nicht dasselbe auch die Heiden? Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.

Haben Sie Feinde, liebe Gemeinde? Viele Menschen verneinen diese Frage. Denn würde ihre Bejahung nicht eine bedenkliche kriegerische Mentalität verraten? Daher antworten die meisten, man habe natürlich Freunde, aber bitte - wo denken Sie hin - doch keine Feinde. Allein, es fragt sich, ob dieser verbreiteten Selbsteinschätzung wirklich zu trauen ist.

Persönlich mag man es so empfinden, dass man keine Feinde hat. Doch schon als Teil der Gesellschaft ist man mit Feinden konfrontiert – bei uns etwa mit islamistischen und rechtsextremen Attentätern als Feinden der offenen Gesellschaft. Und als Staatsangehörige haben wir Staatsfeinde. Dazu gehören beispielsweise Verfassungsfeinde und sogenannte Schurkenstaaten. In einem noch weiteren Zusammenhang kann man politische Systeme, die grundlegend andere Wertvorstellungen als wir vertreten, in den Blick nehmen. Solche Systeme werden von uns beispielsweise als „Feinde des Westens“ bezeichnet.

Jesus hatte jedenfalls von Anfang an Feinde. Kaum war er geboren, wurde sein Leben bedroht. Zu Beginn seines Evangeliums erzählt Matthäus vom Kindermord in Bethlehem, bei dem es König Herodes auf das Leben Jesu abgesehen hatte. Doch ein Engel warnte die Familie und sie konnte noch rechtzeitig nach Ägypten fliehen.

Später zieht sich Jesus durch seine öffentliche Wirksamkeit die Feindschaft der religiösen Führungsschicht zu. Pharisäer, Sadduzäer und Schriftgelehrte bezichtigen ihn der Gotteslästerung. Sie erkennen nicht das Wirken Gottes in seinem Handeln, sondern sehen ihn mit dem Teufel im Bunde:

„Durch den Obersten der Dämonen treibt er die Dämonen aus“ (Mth 9,34)

werfen sie ihm vor. Schließlich planen sie seinen Tod:

„Da gingen die Pharisäer hinaus und hielten Rat über ihn, dass sie ihn umbrächten“ (Mth 12,41)

heißt es. Und auch noch in seinem engsten Kreis hat Jesus einen Feind: sein Jünger Judas Iskariot wird ihn am Ende verraten. Überraschend kam das für Jesus nicht. Er hatte es gewusst und vorher angekündigt.

Wer Jesus nachfolgt, macht sich ebenfalls Feinde und wird verfolgt:

„Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde“,

sagt Jesus,

„Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter“ (Mth 10,34.35).

Mit dem Schwert, das Jesus bringt, ist keine Gewaltanwendung gemeint. Bei der Verhaftung Jesu zog Petrus sein Schwert, um Jesus zu verteidigen. Doch Jesus verbot es ihm. Mit dem Schwert ist in Jesu Wort daher nicht die tötende, wohl aber die trennende Wirkung dieser Waffe gemeint. Die Botschaft des Evangeliums führt zu Entscheidungen und Trennungen, zu Feindschaft auch innerhalb einer Familie.

Zu Beginn der Bergpredigt stimmt Jesus seine Jünger daher auf Verfolgungen ein und sagt ihnen sogar, dass sie sich dabei glücklich schätzen könnten, denn das sei ein Zeichen der Zugehörigkeit zu ihm und zu Gott:

„Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen“ (Mth 5,11),

sagt Jesus am Ende der Seligpreisungen. Und auch für die christliche Kirche war Verfolgung und Anfeindung im römischen Reich in den ersten Jahrhunderten ihres Bestehens immer wieder eine bedrückende Realität.

Für Christen war von Anfang an klar: Mit Feinden muss man leben. Daran führt kein Weg vorbei. Doch wie soll man sich ihnen gegenüber verhalten?

Ein Gebot, seine Feinde zu hassen, gibt es in der hebräischen Bibel nicht. In der Thora wird geboten:

„Wenn du dem Rind oder Esel deines Feindes begegnest, die sich verirrt haben, so sollst du sie ihm wieder zuführen.“ (2. Mos 23,4).

Wenn einem Unrecht geschieht heißt es:

„Du sollst in deinem Herzen keinen Hass gegen deinen Bruder tragen. … An den Kindern deines Volkes sollst du dich nicht rächen und ihnen nichts nachtragen“ (3. Mos 19,17.18).

Und in den Sprüchen Salomos heißt es:

„Hungert deinen Feind, so speise ihn mit Brot, dürstet ihn, so tränke ihn mit Wasser“ (Spr 25,21).

Wenn es aber in der Bibel kein Gebot gibt, seine Feinde zu hassen, warum sagt Jesus dann:

„Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Du sollst deinen Nächsten lieben« und deinen Feind hassen.“?

Nur der erste Teil dieses Satzes ist ein Zitat aus der Thora. Dass man seinen Nächsten lieben soll, steht im 3. Buch Mose (3. Mos 19,18). Der zweite Teil ist eine Interpretation, die zeigt, wie das biblische Gebot der Nächstenliebe in der jüdischen Tradition oft verstanden wurde. Zum Beispiel durch Hinzunahme von Psalm 139,21.22:

„Sollte ich nicht hassen, HERR, die dich hassen, und verabscheuen, die sich gegen dich erheben? Ich hasse sie mit ganzem Ernst; sie sind mir zu Feinden geworden.“

In der Bergpredigt interpretiert Jesus dagegen das Gebot der Nächstenliebe als Feindesliebe. Nun ist es fast unmöglich, bestimmte Menschen in ihrer Bosheit und Grausamkeit wirklich gern zu haben und liebevolle Gefühle für sie zu hegen. Das muss man auch nicht. Denn bei der Liebe im christlichen Sinne geht es nicht um Emotionen, sondern um konkrete Taten. Nicht ein Gefühl der Zuneigung ist gemeint, sondern eine aktive Zuwendung, ein Handeln, das eingeübt werden kann. Wäre es anders, könnte man Liebe nicht gebieten, denn Gefühle können kein Gegenstand von Moral und Ethik sein. Für unsere Gefühle sind wir nicht verantwortlich, wohl aber für unsere Taten.

Ich finde das entlastend. Die Vorstellung, für negative Menschen positive Gefühle haben zu müssen, ist eine gnadenlose Überforderung, die letztlich zur Resignation führt. Da tut es gut zu sehen: Diese Vorstellung ist falsch. Entscheidend ist bei der Feindesliebe nicht, was wir empfinden, sondern, was wir tun. Man kann auch von der Richtigkeit einer Handlungsweise überzeugt sein, wenn man keine Lust dazu hat. Zu einem solchen Handeln muss man sich entschließen. Gerade dann, wenn es einem gefühlsmäßig widerstrebt.

Doch warum sollte man das tun? Der Grund für die von Jesus gebotene Feindesliebe ist das Handeln Gottes, der selbst Feindesliebe praktiziert.

Gott

„lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.“

Die lebensnotwendigen Gaben von Wasser und Wärme werden nicht nach der moralischen Qualität der Empfänger verteilt. Man muss das Wetter also nicht persönlich nehmen. Sonne und Regen werden hier zu Symbolen der Liebe Gottes, die allen gilt.

Dieses Handeln Gottes gilt es nachzuahmen, wenn man ein Kind des himmlischen Vaters ist. In dieser Perspektive ist die Feindesliebe Zustimmung zu der Liebe, mit der Gott auch die Ungerechten und Sünder liebt – ohne damit ihre Sünde gutzuheißen, aber auch ohne ihnen wegen ihrer Schuld seine Zuwendung zu entziehen.

Gott liebt böse Menschen. Nicht weil sie böse sind, sondern weil sie Menschen sind. Menschen, die Gott geschaffen hat und die er vom Bösen erlösen will. Gott sieht die Möglichkeit, böse Menschen in gute Menschen zu verwandeln. Kein Mensch ist so böse, dass er durch Gottes Gnade und Liebe nicht gut werden könnte. Die Chance zu einer grundlegenden Lebensänderung ist da. Das hat Jesus gemeint, als er sagte:

„Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen“ (Mth 4,17).

Ändert Euer Leben, denn Gott ist nahe.

Gott handelt in seiner Liebe anders als es Menschen für gewöhnlich tun. Menschen lieben diejenigen, die sie lieben. Auch böse und ungerechte Menschen tun das. In der Sprache der Bergpredigt: Zöllner und Heiden. Sie sind freundlich zu ihresgleichen. Das ist nichts Besonderes, sagt Jesus.

Doch die Liebe Gottes ist etwas Besonderes. Und wer zu Gott gehört, der praktiziert ebenfalls diese besondere und ungewöhnliche Liebe. Diese Liebe beginnt dort, wo alle Selbstverständlichkeiten aufhören. Salz der Erde und Licht der Welt kann nur sein, wer nicht so handelt wie alle anderen, sondern in seiner Lebensführung den Anbruch des auffällig Anderen, des Himmelreiches, deutlich werden lässt. Dadurch gewinnt man Anteil an der Vollkommenheit Gottes, sagt Jesus. Dadurch erweist man sich als ein Kind des himmlischen Vaters.

Feindesliebe begrenzt nicht die Vergeltung wie der Grundsatz

„Auge um Auge, Zahn um Zahn“ (2. Mos 21,24),

der durch einen gerechten und angemessenen Ausgleich übertriebene Rachehandlungen verbietet und die Eskalation der Gewalt verhindern soll. Feindesliebe durchbricht vielmehr das Prinzip der Vergeltung - ohne dabei das Prinzip der Gerechtigkeit aufzugeben. Feindesliebe zielt nicht auf Vergeltung, sondern auf Versöhnung.

Daher ist Feindesliebe nicht Solidarität mit den Tätern auf Kosten der Opfer. Jesus hat Unrecht klar benannt und die Täter scharf kritisiert. Er hat das Gericht Gottes angesagt und von Heulen und Zähneklappern in der Finsternis gesprochen. Und bei der Tempelaustreibung wurde er auch handgreiflich.

Die Feindesliebe unterscheidet jedoch zwischen der zu verurteilenden Ungerechtigkeit und dem zur Rechtfertigung berufenen Ungerechten. Die böse Tat wird nicht gerechtfertigt, aber dem bösen Täter wird die Möglichkeit zur Abkehr vom Bösen eingeräumt. Er bekommt die Chance, sein Leben zu ändern und sich zum Guten zu wenden. Und dann ist auch ein neues Miteinander von Tätern und Opfern möglich.

Feindesliebe braucht sich allerdings nicht durch Erfolge zu legitimieren. Dass sich der Feind durch die ihm erwiesene Liebe ändert und seine Feindseligkeit aufgibt, wird von Jesus nicht in Aussicht gestellt. Selbst wenn die durch die Feindesliebe angebotene Möglichkeit zur Lebensänderung verweigert wird, bleibt sie sinnvoll. Denn Feindesliebe ist nicht einfach nur eine Strategie zur Überwindung des Bösen, eine paradoxe Intervention, die auf ungewöhnliche Weise zum Erfolg führt. Feindesliebe ist vor allem Ausdruck einer Identität. Sie macht den familiären Bezug zum Vater im Himmel deutlich. Sie weist die Menschen in der Nachfolge Jesu als Kinder Gottes aus. Sie zeigt, zu wem sie gehören: zu Gott.

Als konkretes Beispiel für Feindesliebe nennt Jesus die Fürbitte:

„Bittet für die, die euch verfolgen“.

Durch das Gebet für den Feind wird der Feind anders wahrgenommen als bisher. Jenseits des Feindbildes wird der Mensch sichtbar, das von Gott trotz allem geliebte Geschöpf. Wer den Menschen so sieht, entdeckt auch dort noch etwas Verbindendes zwischen den Menschen, wo es keine gemeinsame Interessen und Überzeugungen mehr gibt, wo sogar Sympathie und Mitleid fehlen – und er wird sich dementsprechend für die Überwindung der Feindschaft zwischen den Menschen einsetzen.

Wo Menschen mit ihrer Liebe und ihrer Liebesfähigkeit angesichts von Hass und Verfolgung an Grenzen stoßen, können sie sich und ihre Feinde betend Gott anvertrauen. Und darum bitten, dass auch die Verfolger von Gott auf den rechten Weg zurückgebracht werden. Sie werden durch die Grausamkeit ihrer Taten nicht zu Unmenschen, sondern bleiben Gottes geliebte Menschen. An dieser Sichtweise gilt es festzuhalten. Dann bekommt auch der Umgang mit den Feinden eine andere Perspektive.

Das alles ist natürlich viel verlangt. Und für manchen wohl zu viel. Über die Lebbarkeit der Forderungen Jesu wird daher immer wieder diskutiert. In ihrer Radikalität und Fremdheit fordert die Bergpredigt uns stets neu heraus. Sie schreckt ab, fasziniert aber auch. Das sehen wir nicht zuletzt an den Menschen, die Jesu Aufforderung zur Feindesliebe beeindruckend konsequent gelebt haben.

Die letzte Konfirmandengruppe hat das in ihrem Vorstellungsgottesdienst am Beispiel von Martin Luther King gezeigt. Und Martin Luther King war kein Einzelfall, keine große Ausnahme. Er hat mit seinen Predigten und seinem Verhalten damals viele Menschen in den Vereinigten Staaten für den Weg der Gewaltlosigkeit und Feindesliebe gewonnen. Sie haben im Kleinen praktiziert, was er im Großen gewagt – und mit seinem Leben bezahlt hat.

Das ist nicht jedermanns Sache. Doch etwas an Liebe kann jeder üben. Daher brauchen wir Menschen wie Martin Luther King nicht nur zu bestaunen und zu bewundern. Wir können uns von ihrem Engagement begeistern lassen. Auch wenn es mitunter sehr schwer fällt, anderen Gutes zu tun, die uns Böses antun. Gott schenke uns deshalb stets neu den Mut und die Entschlossenheit, Liebe zu wagen. Amen.

Diese Seite:Download PDFDrucken

to top