70 Jahre Chorsingen
Foto: privatPeter Hofmann nach seinem Abschiedskonzert am 23.11.1997.19.10.2022 drk_jb Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Im Sommer 1952 kamen wir nach unserer Evakuierung nach Frankfurt zurück. Meine Schwester Margret studierte Kirchenmusik und sang in der Kantorei der Dreikönigskirche. Als sie mich als Chormitglied werben wollte, plante ich, einmal hinzugehen, um dann sagen zu können: „Das gefällt mir nicht!“
Doch es sollte anders kommen. Die Proben für Bachs h-Moll-Messe fesselten mich derart, dass ich nach einer Prüfung bei Professor Thomas als jüngster Bass in den Chor aufgenommen wurde. Bereits im November 1952 sang ich mein erstes Konzert in der Dreikönigskirche – vor weit über 800 Konzertbesuchern. Die Kirche war ausverkauft und selbst im Altarraum und im Mittelgang standen zusätzlich Stühle.
Im Frühjahr 1953 studierten wir die Bachmotetten ein und sangen sie auch in mehreren Kirchen im Taunus. Da es für die Choristen immer etwas zu essen gab – die Lebensmittelkarten waren 1950 abgeschafft worden, hungrig waren wir aber trotzdem noch – waren diese Ausflüge stets willkommen.
Fest auf meinem Programm standen die samstäglichen Vespern mit Helmut Walcha – dem weltbekannten, blinden Professor für Orgelmusik. Wir sangen, was wir in den Proben gerade eingeübt hatten. Die Vespern mit Walcha und Thomas waren weit über Frankfurt hinaus bekannt und die Kirche immer gut besucht.
Besonders gerne erinnere ich mich an meine erste Konzertreise 1953. Wir hatten die Johannes- und Matthäuspassionen von Bach einstudiert. In Paris machten wir neben den Konzerten zusätzlich noch Schallplattenaufnahmen von der Johannespassion, den Bachmotetten und der Weihnachtshistorie von Schütz. Für Letztere erhielten wir später den „Grand Prix du Disque“. Die Reise ging weiter nach Spanien mit Konzerten in Barcelona und Zaragoza.
Die nächste Kantorei-Reise war bereits im folgenden Frühjahr. In Italien sangen wir u. a. den Messias von Händel. Und schon im Herbst 1954 ging es erneut nach Frankreich und Spanien.
Die vielen Konzerte und Reisen waren für mich als 16- bzw. 17-Jährigen sehr schön und eindrucksvoll, taten aber den schulischen Leistungen nicht gut. So wechselte ich im Frühjahr 1955 auf eine Schule in der Schweiz, wo ich 1957 die externe Eidgenössische Matur machte. Das Maschinenbaustudium an der TH in Darmstadt beendete ich 1964 mit dem Diplom. Auch in dieser Zeit sang ich aushilfsweise in verschiedenen Chören.
1957 ging Prof. Thomas als Thomaskantor nach Leipzig. Dies bedeutete das Ende der Kantorei der Dreikönigskirche. Doch 1961 wurde von ehemaligen Chorsängern die Frankfurter Kantorei gegründet, wiederum unter der Leitung von Kurt Thomas, der Leipzig mittlerweile verlassen hatte. 1965, nach Beendigung meines Studiums, trat ich dann der Kantorei bei.
Eine besondere Konzertreise führte uns im April 1979 nach Israel, mittlerweile unter der Leitung von Helmut Rilling. Mit dem Israel Philhamonic Orchestra musizierten wir wieder Bachs h-Moll-Messe, die mich seinerzeit zur Chortätigkeit gebracht hatte, sowie von Brahms das Schicksalslied und das Requiem. Wir hatten Bedenken, wie wir aufgenommen würden, da doch viele Holocaustüberlebende unter den Konzertbesuchern sein würden. Doch wir wurden freundlich empfangen und sogar meist auf Deutsch angesprochen. Die Konzerte waren alle ausverkauft, die Säle überfüllt: ein überwältigendes Gefühl.
1981 übernahm Wolfgang Schäfer die Frankfurter Kantorei, und weitere schöne und eindrucksvolle Konzertreisen folgten u. a. nach Polen, Estland, St. Petersburg und Helsinki, nach Italien mit Venedig und zwei Mal auch an die Westküste der USA. Teuto Rocholl, der schon als Schüler am Musischen Gymnasium unter Thomas gesungen hatte, bereitete all diese Reisen akribisch vor und führte sie erfolgreich durch.
Mit 60 Jahren wollte ich als aktiver Sänger aufhören, um dem Dirigenten nicht zuzumuten, sagen zu müssen, meine Stimme sei zu alt. So führte mich meine letzte Reise als Chormitglied 1997 nach Südafrika: ein wunderbarer Abschluss mit nicht nur musikalischen Erlebnissen, sondern auch dem Besuch des Krüger Nationalparks.
In verschiedenen Chören habe ich danach weiter gesungen. Bei Andreas Köhs zu Beginn im Kurt-Thomas-Kammerchor und im Chor der damaligen Berggemeinde, der dann zur Kantorei Sachsenhausen wurde.
Das Singen trägt mich schon mein Leben lang. Die Musik ist in mir, sie begleitet mich durch Freude und Trauer und schenkt mir immer wieder ein Zuhause.
Wir danken Peter Hofmann herzlich für diesen persönlichen Einblick und wünschen ihm, dass die Musik ihn auch weiterhin mit dieser wunderbaren Begeisterung erfüllt, die er so lebendig weitergibt.
Wer neugierig geworden ist und auch gerne selber singt, dem seien unsere verschiedenen Chöre in Sachsenhausen sehr ans Herz gelegt.
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