2. Könige 19,1
Monatsspruch für August
© Andreas Fauth / fundus.ekhn.deNeige, Herr, dein Ohr und höre! Öffne, Herr, deine Augen und sieh her! 2 Kön 19,16
Da, wo ich an meine Grenzen stoße, darf ich wissen: ich bin nicht allein. Genau diese Erfahrung hat der König Hiskia gemacht, als er vor 2700 Jahren in Juda mit der Bedrohung durch das mächtige assyrische Reich konfrontiert war. „Neige, HERR, dein Ohr und höre! Öffne, HERR, deine Augen und sieh her!“ ruft Hiskia, als er als Zeichen seiner Verzweiflung seine Kleider zerrissen hat und mit einem Sack bekleidet im Tempel zu Gott betet.
24.07.2021
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Autor: Jutta Behrens
Kategorie:
Angedacht
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Wir sind es gewohnt, unser Leben selbst in die Hand zu nehmen. Die wichtigen Entscheidungen im Leben muss man gründlich überlegen und klug entscheiden. Welche Schule soll ich besuchen? Welche Ausbildung ist die richtige für mich? Mit welchem Partner oder welcher Partnerin kann ich mir vorstellen, mein Leben zu teilen? Oder bleibe ich lieber unabhängig? Wie und wo will ich wohnen und arbeiten? Welche Ziele setze ich mir für die nächsten Jahre und für die Zukunft? Das alles will gut und überlegt entschieden werden.
Und dann wird plötzlich alles infrage gestellt. Und ich merke, dass ich eben nicht alles in meinem Leben im Griff habe. Eine Krankheit kann alles anders aussehen lassen. Eine unerwartete Begegnung übt Einfluss auf mich aus, den ich vorher nie erwartet hätte. Globale Entwicklungen wirken sich auch auf mein Leben aus. Wird es gelingen, den Klimawandel in Grenzen zu halten? Und jetzt hat die Pandemie das Leben jedes Menschen in vorher kaum vorstellbarer Weise beeinflusst und verändert. Seit Monaten befolgen wir Regeln, schränken uns ein und hoffen sehnlichst, dass es endlich vorbei geht und die vierte Welle in diesem Herbst nur ganz schwach ausfällt.
Wer seine Grenzen kennt, findet sein menschliches Maß
Das sind Momente, die uns zeigen, dass wir nicht alles in der Hand haben. Momente, die uns menschlich werden lassen. Nur wer seine Grenzen kennt, findet sein menschliches Maß. Nur wer spürt, dass das Universum, in dem ich lebe, größer ist als das, was ich überblicke und begreife, kann seinen Platz als Mensch, als Geschöpf unter Geschöpfen, finden. Und da, wo ich an meine Grenzen stoße, darf ich wissen: ich bin nicht allein. Hier kommt das Gebet ins Spiel.
Genau diese Erfahrung hat der König Hiskia gemacht, als er vor 2700 Jahren in Juda mit der Bedrohung durch das mächtige assyrische Reich konfrontiert war. Der assyrische König Sanherib hatte mit einer überlegenen Streitmacht Jerusalem belagert und Hiskia und die Bewohner Jerusalems verhöhnt. Die Situation war aussichtslos.
„Neige, HERR, dein Ohr und höre! Öffne, HERR, deine Augen und sieh her!“
ruft Hiskia, als er als Zeichen seiner Verzweiflung seine Kleider zerrissen hat und mit einem Sack bekleidet im Tempel zu Gott betet.
Wenn nichts mehr hilft, wenn das Leben der eigenen Kontrolle entgleitet, hilft nur noch beten. Hilft nur noch Gott bitten, dass er hört und sieht: Neige dein Ohr und öffne deine Augen!
Mir kommt es manchmal so vor, als hätten diejenigen, die erst in der Not sich an Gott wenden, ein seltsames Gottesbild: das eines schläfrigen alten Menschen, der in der größten Not geweckt werden muss, damit er überhaupt noch wahrnimmt, was geschieht.
Die Wahrheit ist: er sieht und hört längst, bevor wir uns an ihn wenden.
„Euer Vater weiß, was ihr bedürft, ehe ihr ihn bittet,“
sagt Jesus (Matth. 6,8) Gott ist Gott! Ein Gott, der hört und sieht. Ein Gott, der diese Welt liebt und dem nichts gleichgültig ist, was in ihr geschieht.
Mit Gottes Aufmerksamkeit können wir immer rechnen, an guten und an bösen Tagen; an Tagen, wenn es leicht fällt zu glauben genauso wie in Zeiten des Zweifelns. Beten ergibt jeden Tag Sinn.
„Gelobt sei der HERR täglich,“
heißt es im 68. Psalm. (Ps. 68,20).
Er sieht und hört längst, bevor wir uns an ihn wenden
Nützt das etwas? Hiskia kann nichts tun gegen die Übermacht der Assyrer. Und heute kann niemand genau sagen, wie sich die kommenden Monate, Jahre und Jahrzehnte entwickeln werden. Mein Einfluss ist schon gering, aber die Bedrohungen dieser Zeit sind noch weit größer als das, was ich beeinflussen kann.
Was bleibt also? Vertrauen ist der Schlüssel. Gott um etwas zu bitten macht leicht. Es stärkt das Vertrauen. Es setzt sogar Kräfte in mir frei. Es lässt mich den Mut finden, das zu tun, was richtig und notwendig ist, bei aller Begrenztheit meiner Möglichkeiten. Beten löst nicht alle Probleme. Gott erhört unsere Gebete (das Gebet Hiskias blieb auch nicht ohne Antwort, 2. Könige 19, 20-37), aber er erfüllt nicht alle unsere Wünsche. Manches, was geschieht, bleibt unbegreiflich. Doch das Vertrauen auf den aufmerksamen, liebenden, wachen Gott trägt. Und es macht die Seele leicht.
Pfarrer Thomas Sinning
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