Dreikönigsgemeinde

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Offene Kirche

© DreikönigsgemeindePanorama der DreikönigskirchePanorama der Dreikönigskirche

Mitte September habe ich zum ersten Mal am Sonntagnachmittag zwei Stunden in der Dreikönigskirche verbracht, um sie für Besucher offenzuhalten. Für mich selbst, die ich sonst ja in der Regel dort aktiv und konzentriert Gottesdienste gestalte, war es eine Wohltat, mich einmal länger schweigend und passiv in diesem besonderen Raum aufzuhalten.

Erstaunlich, wie der Blick von den Kirchenfenstern nach oben gezogen wird zu dem sehr schönen Netzgewölbe der Decke, zu dem mein Blick als Pfarrerin im Gottesdienst so gut wie nie wandert. Das Erhebende dieses Raumes, geschützt und dennoch groß und weit, hat mir sehr gutgetan.

Dass täglich, aber vor allem samstags und sonntags, unzählige Menschen vergeblich an den fast immer verschlossenen Kirchentüren rütteln, hat mich schon immer sehr gestört, aber dass ich auf meiner nebenbei geführten Strichliste nach zwei Stunden 93 Besucher zählte, war für mich doch überraschend.

93 Menschen, die sonst enttäuscht weitergezogen wären, haben nun diesen Kirchenraum betreten können. Es waren fast nur junge Menschen, die allermeisten noch keine 30 Jahre alt. Darunter viele Reisende aus asiatischen Ländern, so schien es mir.

Wenn mehrere junge Leute miteinander kamen und noch im Vorraum im Gespräch waren, wurden sie im Kirchenraum sofort still.

Fast jeder hatte ein Smartphone in der Hand, aber die meisten knipsten nicht einfach, was ihnen gefiel, sondern nahmen bedacht und geschickt ein kurzes Video auf, in dem sie – so wirkte es jedenfalls auf mich – durch erstaunlich harmonische Bewegungen mit ihrem Smartphone den Kirchenraum mit seiner Schönheit und Erhabenheit einfingen.

Für viele war es, wenn sie sich umwandten, um wieder zurückzugehen, offenbar eine besondere Faszination, die Orgel zu entdecken.

Einige setzten sich in eine Kirchenbank und nahmen sich Zeit zum Beten. Einige drehten sich, kurz bevor sie die Kirche wieder verließen, noch einmal kurz um und bekreuzigten sich.

Viele brachten mir gegenüber, die ich in der hintersten Reihe an der Tür saß, durch einen freundlichen Blick oder ein Wort ihren Dank zum Ausdruck für diesen kurzen oder längeren Moment im Kirchenraum.

Als ich nach zwei Stunden die Kirchentür wieder abgeschlossen hatte und mich auf mein Rad schwang, tat es mir leid, gleich wieder Menschen zu sehen, die hoffnungsvoll die Stufen zum Portal hochstiegen und die Türen verschlossen vorfanden.

Wenn wir als Gemeinde immer wieder beklagen, dass junge Menschen nichts mehr von der Kirche wissen wollen, dann sollten wir vielleicht unsere Bemühung verstärken, ihnen das, was sie sehr wohl von der Kirche wollen, zu ermöglichen.

Dass für sie, aber auch für mich selbst der Aufenthalt im Kirchenraum eine Wohltat war, will ich weitersagen als Anregung, dass wir den vielen vom Eisernen Steg kommenden Besuchern, aber auch uns selbst unsere Kirche viel öfter zugänglich machen sollten.

Den besonderen Wert, ja den Zauber von Kirchengebäuden hat unnachahmlich eindrucksvoll Pascal Mercier in seinem bekannten Roman „Nachtzug nach Lissabon“ beschrieben:

Ich möchte nicht in einer Welt ohne Kathedralen leben. Ich brauche ihre Schönheit und Erhabenheit. Ich brauche sie gegen die Gewöhnlichkeit der Welt. Ich will zu leuchtenden Kirchenfenstern hinaufsehen und mich blenden lassen von den unirdischen Farben. Ich brauche ihren Glanz. Ich brauche ihn gegen die schmutzige Einheitsfarbe der Uniformen. Ich will mich einhüllen lassen von der herben Kühle der Kirchen. Ich brauche ihr gebieterisches Schweigen. Ich brauche es gegen das geistlose Gebrüll des Kasernenhofs und das geistreiche Geschwätz der Mitläufer. Ich will den rauschenden Klang der Orgel hören, diese Überschwemmung von überirdischen Tönen. Ich brauche ihn gegen die schrille Lächerlichkeit der Marschmusik.

Ich liebe betende Menschen. Ich brauche ihren Anblick. Ich brauche ihn gegen das tückische Gift des Oberflächlichen und Gedankenlosen. Ich will die mächtigen Worte der Bibel lesen. Ich brauche die unwirkliche Kraft ihrer Poesie. Ich brauche sie gegen die Verwahrlosung der Sprache und die Diktatur der Parolen. Eine Welt ohne diese Dinge wäre eine Welt, in der ich nicht leben möchte.

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