„Gott öffnet uns die Augen“
Die Aktualität der Reformation
Am 31. Oktober 1517 veröffentlichte Martin Luther seine Thesen gegen den mittelalterlichen Ablasshandel. Damit löste er die Reformation aus. 500 Jahre ist das her. Reinhard Ellsel spricht mit dem Berliner Altbischof und ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland
(EKD), Dr. Wolfgang Huber, über die Aktualität der Reformation.
Allein Jesus Christus. Allein aus Gnade. Allein aus Glaube. Das waren die Kernthesen der Reformation. Warum sind die noch heute aktuell?
Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Das Bild vom Menschen ist weitgehend davon geprägt, dass wir sagen: Der Mensch ist das, was er selber aus sich macht. Anerkennung bekommt der, der etwas leistet.
Und damit laufen wir Gefahr, dass wir selbstgerecht werden ...
Wir neigen dazu, die Menschen in Schwarz und Weiß aufzuteilen. Wir sagen, da sind die Guten und da die Bösen. Da sind diejenigen, die dazu gehören, und die anderen gehören nicht dazu. Einheimische und Fremde.
Sie sprechen die Flüchtlingskrise an. Wie kann sich unser verengter Blickwinkel wieder weiten?
Nur dann, wenn wir einsehen, dass keiner von uns den letzten Sinn seines Lebens hervorbringt – nicht durch seine Leistungen, nicht durch Eigenschaften, die er hat. Sondern wir sind etwas, weil Gott uns zu etwas macht. Gott sei Dank sind wir mehr, als wir aus uns selbst machen. Denn das könnte auch gründlich schiefgehen.
Wir leben alle aus Gottes Gnade. Das lässt uns leichter die Seiten wechseln und auf Fremde zugehen. Wir brauchen nämlich keine Angst zu haben, dass wir zu kurz kommen, sondern wir sind dankbar für alles, was wir geschenkt bekommen haben. Dankbarkeit für die uns geschenkte Würde. Dankbarkeit für das uns geschenkte Leben. Dankbarkeit dafür, dass Gott uns anerkennt. Er öffnet uns die Augen für unsere Mitmenschen und hilft uns dabei, Mitmenschen als gleichberechtigt anzuerkennen und – soweit wir irgend können – auch als gleichberechtigt zu behandeln.
Das ist für mich die Aktualität der Reformation. Und das ist nur schwer zu überbieten.