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Tiefblick 10/11 2022 von Pfarrerin Silke Alves-Christe

Schabbat שבת

https://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0/

Die „Braut Schabbat“ begrüßen - Den Feiertag heiligen.

Ein wertvolles Geschenk waren für mich die drei Monate meines Studienurlaubs in diesem Sommer, die ich weitgehend in Jerusalem verbrachte für eine Bibellektüre im hebräischen Urtext und für zahlreiche Begegnungen mit Menschen in Israel. Das hebräische Wort für Studienurlaub ist Schabbatón und zeigt die Verbindung zum wöchentlichen Ruhetag bzw. Feiertag, dem Schabbat.

Neben dem intensiven Bibellesen war für mich das regelmäßige Miterleben und Mitfeiern des Schabbats ein besonders eindrückliches Erlebnis. Am Freitagnachmittag galt es zu beachten, dass der öffentliche Verkehr ab etwa 17 Uhr eingestellt und erst am späten Samstagabend wieder aufgenommen wird. Wenn man sich daran nicht stört, sondern seine Planungen darauf einstellt, ist es sehr beruhigend zu erleben, wie eine quirlige Stadt nach und nach zur Ruhe kommt, wie hinter manchen Fenstern die beiden vor Schabbatbeginn angezündeten Kerzen leuchten, wie Menschen etwas festlicher als sonst gekleidet zum Gebet in die Synagoge gehen. Zu Anfang des etwa halbstündigen Abendgebets wird ein Lied mit folgendem Refrain gesungen: Komm, mein Freund, der Braut entgegen, lasst uns den Schabbat empfangen. Beim letzten Singen dieses Refrains drehen sich alle zur Tür, um symbolisch die Braut Schabbat zu begrüßen. (Darum empfiehlt es sich, nicht zu spät zur Synagoge zu kommen, denn niemand will gerade in dem Moment durch die Tür eintreten, wenn alle sich nach dorthin umdrehen, um die Braut Schabbat mit einer Verneigung willkommen zu heißen.) Nicht nur in diesem Lied kommt die Verehrung für diesen ganz besonderen Wochentag zum Ausdruck. Während wir Christen oft nur das im Blick haben, was Juden am Schabbat verboten ist, habe ich in jüdischen Häusern miterlebt, wie eifrig die ganze Familie am Freitag die Mahlzeiten für Freitagabend und Samstag miteinander vorbereitet und auf einer Wärmeplatte bereitstellt, um für die gemeinsamen Mahlzeiten dann nicht mehr lange in der Küche stehen zu müssen. Erstaunt habe ich beobachtet, wie am Freitag vor Sonnenuntergang die Smartphones vollständig ausgeschaltet werden, nicht mit Ärger über das, was man nun verpassen wird, sondern eher mit einem Seufzer der Erleichterung, nun mal 24 Stunden nicht von diesem Gerät aufgeschreckt, abgelenkt und beschäftigt zu werden.

Viel stärker als bei uns am Sonntag ist es üblich, den Schabbat im Kreis der Familie zu verbringen. Und auch ich war fast immer am Freitagabend bei unterschiedlichen Freunden eingeladen, denen es wichtig war, dass ich diesen Abend nicht allein verbringen musste.

Bevor nach der Rückkehr aus der Synagoge das feierliche Essen mit dem Kiddusch, dem Segen über Wein und Brot, beginnt, ist es besonders anrührend zu erleben, wie der Familienvater seine Kinder persönlich segnet, mit Handauflegung, aber in aller Intensität doch ganz zwanglos und fröhlich. Ich denke, dass für jüdische Kinder nicht nur dieser Moment des Segens wertvoll und prägend ist, sondern dann auch die Erfahrung, dass nun für 24 Stunden ihre Eltern nicht durch Telefonanrufe, Emails, Fernsehfilme und auch nicht durch liegengebliebene Arbeiten, die dringend noch erledigt werden müssen, davon abgehalten werden, ganz für ihre Familie und für ein entspanntes Miteinander da zu sein.

Der Verzicht auf die vielen technischen Möglichkeiten und die Sicherheit, dass am Schabbat keine noch so drängende Arbeit wichtiger ist als das Zeithaben und das Dasein für die Familie, erleben sowohl Kinder wie auch Ehepartner als persönliche Wertschätzung. Neben Ausruhen, Schlafen und Spazierengehen spielen Lesen und Lernen am Schabbat eine wichtige Rolle. Am Nachmittag des Schabbat habe ich mehrmals erlebt, dass, während ich auf dem Balkon meiner Wohnung in der Hebräischen Bibel las, der Vater meiner Nachbarsfamilie auf dem Balkon nebenan ebenfalls Bibel und Talmud studierte und mit seinem 13-jährigen Sohn den Tora-Abschnitt für die bevorstehende Bar Mizwa (die jüdische Konfirmation) übte. Diese Verbundenheit von Balkon zu Balkon in der Lektüre der gemeinsamen Bibel hat mich sehr beeindruckt und gefreut.

Die dreimonatige Schabbatzeit war für mich – ganz ähnlich wie der wöchentliche Feiertag Schabbat – eine Zeit, in der ich einfach die Bibel lesen konnte ohne sofort an den Nutzen zu denken, ohne schon die nächste Predigt im Blick haben zu müssen. Lernen, interessante Texte in sich aufnehmen ohne gleich selbst etwas schaffen oder formulieren zu müssen, das hat mir sehr gutgetan.

Wie heilsam wäre es, eine solche stressfreie, von Leistungsdruck und Erfolgszwang freigehaltene Zeit an jedem Sonntag erleben zu können. Gott hat sich selbst – so erzählt schon der biblische Schöpfungsbericht – einen solchen Tag gegönnt, als er nach der Schöpfung der Welt „am siebten Tage ruhte von allen seinen Werken“. Statt das dritte Gebot: „Du sollst den Feiertag heiligen!“ als eine Einschränkung, eine Last oder eine Spaßbremse zu verstehen, möchte ich den Sinn dieses Gebots so wiedergeben: Gott gönnt Dir in jeder Woche einen Tag, an dem Du Dich nicht über deine Arbeit definierst, sondern Du selbst sein darfst. Sei so frei!

Pfarrerin Silke Alves-Christe

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