Gesitliches Wort
So Gott will und wir leben
Pixabay28.07.2020 drk_jb Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
„Auf Sicht fahren" war in den letzten Monaten eine häufig verwendete Metapher für ein Handeln, das ständig durch neue Einsichten und Entscheidungen verändert werden musste.
Die Formulierung „auf Sicht fahren“ lässt derzeit vor allem an die eingeschränkte Sicht im Nebel denken. Ein weites Vorausschauen ist nicht möglich. Das überschaubare Sichtfeld ist auf den Nahbereich beschränkt. Vieles steht unter Vorbehalt. Schon mittelfristige Planungen werden mit vorsorglichen Einschränkungen versehen: „sofern das dann wieder möglich ist", sagen wir; wir hoffen es, aber wir
wissen es nicht.
Der einschränkende Vorbehalt findet sich in der Bibel im Jakobusbrief:
„Wenn der Herr will, werden wir leben und dies oder das tun“ (Jak 4,15).
Sprichwörtlich geworden heißt es meist: „So Gott will und wir leben.“
Der Jakobusbrief verweist angesichts des übermütigen Rühmens im Blick auf geplante Geschäftsvorhaben (siehe Jak 4,13-16) auf die Unvermeidlichkeit des Unverfügbaren und die unter anderem daraus folgende Unkenntnis der Zukunft (Jak 4,14: „Ihr wisst nicht, was morgen sein wird.“).
Dieser Hinweis wird mit der Erinnerung an die Vergänglichkeit des Lebens verbunden
(Jak 4,14: „Was ist euer Leben? Dunst seid ihr, der eine kleine Zeit bleibt und dann verschwindet.“)
sowie mit der Aufforderung, bei allem Planen einen Vorbehalt zu machen, der der Unvermeidlichkeit des Unverfügbaren Rechnung trägt
(Jak 4,15: „Dagegen solltet ihr sagen: Wenn der Herr will, werden wir leben und dies oder das tun.“).
Auch wer nicht an den Gott der Bibel glaubt, sieht sich mit dem Unverfügbaren konfrontiert – und wird den Vorbehalt entsprechend anders formulieren: „wenn nichts dazwischen kommt“ oder „wenn alles gut geht.“
Die Erfahrung der Unverfügbarkeit des Daseins zeigt sich darin, dass es mitunter anders kommt als man denkt.
Ein absolut realitätsgerechtes Planen würde voraussetzen, dass man die Zukunft kennt, beispielsweise die Dauer der eigenen Lebenszeit einschließlich ihres Verlaufs etwa im Blick auf die
eigene Gesundheit. Doch das ist nicht der Fall. Und wenn es der Fall wäre, bliebe die Frage, ob man es tatsäch - Gelassenheit – durch Vertrauen auf Gott
Man muss also mehrere Möglichkeiten in Betracht ziehen. Doch weil der Zukunft immer ein Rest von Unvorhersehbarkeit und Nichtgestaltbarkeit zu Eigen ist, kann das letztlich nicht nur planend der Fall sein. Zu einer realitätsgerechten Einstellung zum Leben gehören auch Vertrauen und Zuversicht,
die zu innerer Freiheit und Gelassenheit führen.
Falls die Erfahrung von Ohnmacht und Abhängigkeit ein bestimmtes Maß überschreitet, können jedoch an die Stelle von Vertrauen und Zuversicht auch Angst, Sorge, Verzweiflung und Resignation treten,
die zu Verbitterung bzw. zu einer zynischen Sicht auf das Leben führen.
Die christliche Haltung zur Unvermeidlichkeit des Unverfügbaren ist der Glaube an Gott beziehungsweise das Vertrauen auf Gott. Der Glaube als Vertrauen auf Gott ermöglicht eine
Gelassenheit, die sich in ein positives Verhältnis zur Wirklichkeit setzt, indem sie das, was nicht zu ändern ist, akzeptiert – auch wenn die Realität gerade sehr leidvoll erfahren oder gar als sinnlos erlebt wird. Im Glauben bekennen wir ehrfürchtig und vertrauend zugleich, dass Gott unser Planen und Handeln umfängt. Ehrfürchtig, weil es anders kommen kann, als wir denken und unser Leben nicht immer nach Plan verläuft. Vertrauend, weil wir in allem, was geschieht, von Gott begleitet werden.
So gesehen kann das „So Gott will und wir leben“ einen Raum der Besinnung öffnen. Wir können in diesem Raum unsere Ohnmacht und unsere Grenzerfahrungen vor Gott bringen und sie gemeinsam
mit Gott aushalten. Wir haben unser Leben nicht in der Hand. Gott schon. Wir sind von ihm getragen und gehalten. Auch wenn wir das nicht immer gleich spüren und es manchmal erst im Nachhinein erkennen oder auch gar nicht.
Gott allein weiß, was morgen sein wird, wie es mit unserem Leben weitergeht und wann es zu Ende sein wird. Doch auch dann sorgt er dafür, dass wir nicht wie ein Rauch verschwinden. Denn Gott will, dass wir leben.
„Ich lebe und ihr sollt auch leben“ (Joh 14,19),
sagt Jesus Christus zu seinen Jüngern. Leben: hier und in Ewigkeit.
Pfarrer Jügen Seidl
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