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Sommerpredigtreihe: Die Bitten des Vaterunsers

Charles Crodel, 1956

Das Vaterunser, mit dessen Bitten wir uns in unserer diesjährigen Sommerpredigtreihe befassen, stellt unsere Anliegen in einen größeren Zusammenhang.

Es hilft uns, Abstand zu gewinnen. Wenn wir das Vaterunser beten, sehen wir zunächst einmal von uns und unseren Problemen ab – um dann das eigene Leben in einem neuen Licht zu betrachten. Deshalb bitten wir zunächst um die Heiligung des Namens Gottes, um das Kommen Seines Reiches und dass sein Wille geschehen möge.

Martin Luther hat dazu in seinem kleinen Katechismus richtig festgestellt, dass Gottes Reich auch ohne unser Gebet kommt und dass sein Wille auch ohne unser Gebet geschieht. Warum beten wir um etwas, was sich auch unabhängig von unserem Gebet vollzieht? Könnten wir dieses Gebet nicht bleiben lassen? Doch Gottes Wille soll gerade nicht ohne uns oder gar gegen unseren Willen geschehen – auch wenn das möglich wäre. Der Sinn dieser Bitten liegt in der vertrauensvollen Zustimmung zum Wirken Gottes, auch wenn wir es nicht vollständig verstehen. Wir bekennen mit den ersten Bitten des Vaterunsers: Gottes Name ist heilig. Sein Reich ist nahe. Sein Wille ist gut.

Wenn wir beten, klären wir elementare Fragen des menschlichen Lebens. Die letzten vier Bitten des Vaterunsers betreffen direkt unsere Anliegen. Sie können uns vor Verwechslungen bewahren – etwa vor der Verwechslung von Schuld und Schwäche. Bei der Bitte um Vergebung geht es um unsere Verantwortungs- und Schuldfähigkeit – die nicht durch Beschwörung von Ohnmacht geschmälert werden darf, wenn besser zu beten wäre: „Vergib uns unsere Schuld.“ Bei der Bitte um Erlösung geht es um die eigene Verführbarkeit und um Kräfte, über die wir nicht verfügen, die aber unser Leben beeinträchtigen und zerstören. Dann gilt es, sich die eigene Ohnmacht ehrlich einzugestehen, wenn nur noch das Gebet sinnvoll ist: „Erlöse uns vondem Bösen.“

Die Bitten des Vaterunsers können für Klarheit sorgen, wenn wir uns fragen, um was in einer bestimmten Lebenssituation sinnvoll zu bitten ist. Geld etwa brauche ich zum Leben wie das tägliche Brot. Daher kann ich Gott um Geld bitten. Ich kann in meinem Umgang mit Geld aber auch schuldig werden, etwa indem ich stehle oder betrüge. Dann muss ich um Vergebung bitten. Und Geld kann mich so stark bestimmen, dass es an die Stelle Gottes tritt und ich von der Macht des Geldes befreit werden muss. Dann ist die Bitte um Erlösung von dem Bösen angebracht. Hier kann uns das Vaterunser zu einer Klärung helfen. Was brauche ich zum Leben? Wofür bin ich verantwortlich? Wovon bin ich abhängig?

Jesus will uns mit dem Vaterunser kein Gebet lehren. Er will uns beten lehren. Das ist ein Unterschied. Es geht beim Vaterunser nicht einfach um das Nachbeten vorformulierter Worte, um das – im schlimmsten Fall: gedankenlose – Aufsagen von Gebetsformeln. Es geht um den Sinn unseres Betens. Wir sollen unser Leben im Gebet vor Gott bringen und es so in einem neuen Lichte sehen. Das setzt die Wahrnehmung und Reflexion der eigenen Lebenssituation voraus.

Dazu gehört auch das Verhältnis zu Gott. Das Vaterunser kann uns helfen, die angemessene Haltung Gott gegenüber zu finden: Vertrauen in Gottes Liebe und Güte, aber auch Respekt und Ehrfurcht gegenüber Gott. Solches Beten hilft uns, mehr zu sehen als unsere eigenen Bedürfnisse. Es weitet den Horizont und lenkt den Blick über unsere eigenen Anliegen hinaus. Das Gebet bewahrt uns vor einer selbstgenügsamen Frömmigkeit, indem es uns mit Gott und mit anderen Menschen verbindet.

Beten ist, so gesehen, eine Lebenshaltung. Es ist auch nicht auf Notsituationen beschränkt. Beten begleitet alle Lebenssituationen. Es durchzieht Freude und Leid wie ein roter Faden, der alles mit Gott verbindet. Was immer auch passiert – wir können es vertrauensvoll vor Gott bringen: lobend und klagend, bittend und dankend. Auch wenn unsere Wünsche nicht immer erfüllt werden. Entscheidend ist, dass wir den Kontakt zu Gott nicht verlieren. Die Lasten, die wir aus der Vergangenheit mit uns schleppen, die Sorgen, die uns gegenwärtig umtreiben, und die Ängste, die uns den Blick in die Zukunft verdunkeln – sie werden mit Gott verbunden und in diesem Sinne relativiert (zu Gott in Beziehung gesetzt), wenn Gottes Geist in unser Herz einzieht und uns beten lehrt.

Pfarrer Jürgen Seidl

 

 

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