Zorn - Leserbrief und Antwort des Verfassers zum Tiefblick der letzten Ausgabe
Free to use under the Unsplash License20.03.2022 Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Leserbrief zum Tiefblick der letzten Ausgabe
Das Lesen des Artikels ‚Zürnt ihr, so sündigt nicht; lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen‘ hinterlässt mich nachdenklich.
Ich stimme zu, dass der meiste Zorn am Abend oder am nächsten Morgen beigelegt werden sollte, damit er der zornigen Person nicht schadet. In den gängigen zwischenmenschlichen Ärgernissen oder Meinungsverschiedenheiten sollte man schon aus egoistischen Gründen versuchen, so bald wie möglich mit der Person, auf die man zornig ist, und mit sich selbst wieder ins Reine zu kommen. Aber es fehlt mir ein sehr wichtiger Hinweis im vorliegenden Artikel. Was nämlich ist zu tun, wenn es sich um den Zorn einer Person in Abhängigkeit handelt, wenn aufgrund von Macht, Gewalt oder Missbrauch keine Möglichkeit besteht, die Ursache des Zorns zu klären? Was ist, wenn der gesunde Zorn der erste Schritt aus einer zwischenmenschlichen Hölle ist?
Gerade wegen der aktuellen Präsenz der kirchlichen Missbrauchsskandale in der Öffentlichkeit könnte sich der Ratschlag, den Zorn vor dem Sonnenuntergang beizulegen, für Betroffene wie ein Hohn oder das erpresserische Argument eines Täters lesen.
Im Sachsenhäuser Wochenblättchen lese ich, dass der Bäcker Eifler einen Aufruf gegen häusliche Gewalt auf seine Papiertüten druckt und hofft, dass so die Notrufnummer dorthin kommt, wo nur die Opfer sich selbst helfen können.
Vor diesem Hintergrund hätte ich mir im ‚Tiefblick‘ eine Klarstellung gewünscht, die verdeutlicht, dass nicht jeder Zorn schlecht und also schnell zu beenden ist, sondern dass der Zorn dann, wenn Unrecht geschieht, auch als wertvolle Triebkraft genutzt werden sollte, damit Opfer sich befreien, sich an sichere Orte begeben bzw. Anzeige erstatten.
Susanne von Münchhausen
Antwort des Verfassers
Haben Sie vielen Dank für Ihre Zuschrift! Im Hinblick auf die von Ihnen angesprochenen Gewalterfahrungen im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt und den schrecklichen Missbrauchsfällen, deren mangelhafte Aufarbeitung in der katholischen Kirche ein immer noch unbewältigtes Thema ist, muss ich Ihnen völlig recht geben. Die Gefühle von Opfern solcher Verbrechen lassen sich nicht einfach ausräumen, schon gar nicht vor Sonnenuntergang. Vielmehr haben die Opfer ein Leben lang damit zu kämpfen und sind darauf angewiesen, dass sie nicht allein gelassen werden, wenn es darum geht, dass ihre Rechte gegenüber den Tätern ernst genommen werden. Die Gefühle, die dabei im Spiel sind, sind nach meiner Einschätzung vielschichtig; Zorn mag dabei eine Rolle spielen, Gefühle von Demütigung und Verletzung, von Scham und von Abscheu spielen hier sicher auch eine Rolle. Wenn der Zorn gegen die Täter eine Triebfeder ist, um über Jahre hinweg den Kampf für Gerechtigkeit und eine (letztlich immer unzureichende) Wiedergutmachung durchzustehen, so ist diese Art von Zorn eine wertvolle Kraft. Da gebe ich Ihnen völlig recht.
Allerdings ist diese Thematik bei dem Bibelwort aus dem Epheserbrief überhaupt nicht im Blick. Hier geht es um einen Ratschlag in alltäglichen Konflikten unter Menschen, die nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen. Daher habe ich Gewalterfahrungen in der Kirche und in häuslicher Gewalt bei der Auslegung des Monatsspruches hier nicht zum Thema gemacht. Ich hätte es als schwierig empfunden, in diesem Rahmen lediglich einen Hinweis einzufügen, dass in einer Missbrauchssituation die Sünde einzig beim Täter und nicht beim Zorn des Opfers liegt und hier der Zorn eine positive Triebkraft sein kann. Dieses Thema hat ein zu großes Gewicht, um als ein Nebenaspekt erwähnt zu werden.
Ein anderes Bibelwort wäre bei diesem Thema eher angebracht: „Wer aber einen dieser Kleinen, die an mich glauben, zum Abfall verführt, für den wäre es besser, dass ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäuft würde im Meer, wo es am tiefsten ist.“ (Matthäus 18,6) Hier kann man sehen, dass Jesus einen starken Zorn über Untaten an „den Kleinen“, also an Kindern, Abhängigen, Unterlegenen empfindet und in der für ihn zuweilen typischen prophetischen Übertreibung (Mühlstein um den Hals etc.) zum Ausdruck bringt. Ich finde es wichtig, Jesu Leidenschaft für die Kleinen und Schwachen ernst zu nehmen, und dass die Kirche sich diese zu eigen macht. Das bedeutet auch, Opfer ernst zu nehmen und zu unterstützen.
Das ist allerdings ein Thema von eigenem Gewicht. Wo es in der Kirche entsprechende Fälle gibt, muss das sehr ernst genommen und gründlich aufgearbeitet werden. Doch Gewalt gegenüber Kindern (wie auch gegenüber Frauen) ist ja kein rein kirchliches, sondern ein gesamtgesellschaftliches Thema.
Pfarrer Thomas Sinning
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