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Gedenken an die Novemberpogrome

Am Diesterwegplatz, rechts neben dem Eingang zum Südbahnhof erinnert eine große Plakette daran, dass von dort aus in den Tagen nach der Pogromnacht 1938 über 3.000 jüdische Mitbürger nach Buchenwald und Dachau deportiert wurden.

Die Ev.-luth. Dreikönigsgemeinde gestaltet seit 2012 jedes Jahr rund um den 9. November eine Andacht, um an dieses unfassbare und schreckliche Unrecht zu erinnern und zu mahnen – in der Hoffnung, dass nie wieder Menschen aus unserer Mitte gedemütigt, diskriminiert oder misshandelt werden.

Erinnern heißt handeln. Die Erinnerung an das, was damals geschah, soll uns berühren. Soll uns bewusst machen, was Menschen damals angetan wurde. Die Erinnerung soll aber auch unseren Blick für die Gegenwart schärfen, damit wir entschlossen jeglichen fremdenfeindlichen, rassistischen oder antisemitischen Parolen entgegentreten, die auch in unserer Zeit leider immer wieder Gehör finden.

Erinnern wir also daran, dass am Abend des 10. November 1938 und an den folgenden Tagen Lastkraftwagen am Südbahnhof ankommen, die verhaftete jüdischen Männer von der Festhalle herbringen, und auf Züge verladen.

Einer von ihnen ist der Rechtsanwalt Julius Meyer, der 1939 nach England emigrierte. Er beschreibt 1940 das Geschehen am Bahnhof am 12. November:

Ein Augenzeugenbericht

„Da stehen dicht gedrängt Scharen von Menschen, um zuzusehen. Kopf und Nerven zusammengenommen! Schnell raus und hinein durch die Schranke dort vorn in den Bahnhof. Ein wüstes Gejohle geht los und empfängt uns. Durch! Die Stufen hinunter zur Unterführung, marsch, marsch, durch diese hindurch, dem Polizeischutzmann nach, der uns ruft. Wir sammeln uns am anderen Ende der Unterführung, wo uns Schutzleute unter Leitung eines Polizeioffiziers ausgesprochen freundlich in Empfang nehmen. Dann aber erfahren wir: Es sind nicht alle so ungeschoren wie wir in und durch die Unterführung gekommen. Wir waren im ersten Auto. Die Insassen der folgenden Wagen sind nicht nur mit Zurufen empfangen worden, sondern mehrere Mädchen und Frauen und dann auch Männer haben darauf losgehauen, geprügelt, mit Stöcken und Schirmen geschlagen, wahrscheinlich auch mit schwereren Gegenständen. Sonst wäre es undenkbar und unverständlich, dass zahlreiche jüdische Männer nicht nur Beulen, sondern stark blutende Reiß- und Kratzwunden davongetragen haben. Der Polizeileutnant ist anfangs fast machtlos. Man sieht es seinem feinen, wohlerzogenen Gesicht an, wie peinlich ihm diese Vorfälle sind, und seine Beamten sagen uns, wie gemein es ist, dass man uns wehrlose Leute so behandelt. Auch diese Qual hat ein Ende, und wir sitzen im Zug, in den man uns verladen hat.“

Der Zug mit Julius Meyer und weiteren 337 Verhafteten fährt zum KZ Buchenwald in der Nähe Weimars. Es ist der erste Zug mit Deportierten aus Frankfurt am Main, der dort am frühen Morgen des 11. November eintrifft. Am 12. November treffen drei weitere Transporte aus Frankfurt ein. Einer der Transporte vom 12. November wird von SS bewacht. Sie prügeln während der mehrstündigen Zugfahrt willkürlich herausgegriffene Gefangene, lassen Nazi-Lieder singen und befehlen Sprechchöre: „Wir sind Mörder, Betrüger und Blutsauger!“

Im Bahnhof von Weimar prügelt SS die Deportierten durch die Unterführung zu den Lastwagen. Vor dem Lagertor steht ein Spalier aus SS-Leuten mit Stöcken und Eisenstangen, durch das sie in das Lager gehetzt und geprügelt werden. Dann folgt das sich über Stunden hinziehende Antreten auf dem Appellplatz. Die Gefangenen werden karteimäßig erfasst, erhalten einen Zettel mit einer Identifikationsnummer und müssen ihre Habseligkeiten, Wertsachen und Geld abgeben. Mangel an Wasser, Überfüllung, Schmutz und Hunger, sowie ständige Gewaltexzesse sorgen für die Hölle auf Erden. Nachweisbar 61 in Frankfurt geborene Deportierte sterben in Buchenwald, der jüngste mit 20, die ältesten mit 63 Jahren. Bereits in den ersten Tagen teilt das Lagerkommando über Lautsprecher die Bedingungen für eine Freilassung mit: Verkauf von Eigentum an Häusern, Geschäften, Fabriken und Nachweis einer Auswanderungsmöglichkeit. Angehörige dürfen Geld überweisen, an dem sich die SS bereichert.

Etwa zehn Tage nach dem 10. November begannen die ersten Entlassungen. Ephraim Franz Wagner aus Frankfurt, der eine Einwanderungserlaubnis nach Palästina erhalten hatte, beschreibt die Entlassungsprozedur:

 „Mir wurde der Kopf kahlgeschoren, Formulare mussten unterschrieben werden, in denen ich eidesstattlich zu erklären hatte, dass man mich gut behandelt hätte; zudem wurde mir unzweideutig erklärt, dass ich erneut ins KZ käme, falls ich Deutschland nicht bis Ende Februar verlassen hätte.“

(c) Wolfgang Wippermann: „Das Leben in Frankfurt zur NS-Zeit. Die nationalsozialistische Judenverfolgung“, Frankfurt 1986.

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