Dreikönigsgemeinde

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Begrüßung zur Gedenkandacht

Ich begrüße Sie zu diesem Moment des Innehaltens hier am Südbahnhof.

Wir laden Sie ein, für ein paar Minuten Ihre gewohnten Wege im Feierabendtrubel hier am Südbahnhof zu unterbrechen. Wir, das sind Christen aus der Evangelischen Dreikönigsgemeinde (zusammen mit anderen katholischen und evangelischen Christen hier aus dem Stadtteil), denen es ein Anliegen ist, das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus wachzuhalten. 

Heute, am 9. November, ist es 78 Jahren her, dass jüdische Geschäfte, Häuser und Synagogen von den Nationalsozialisten angezündet und zerstört wurden. Dieser Tag wurde beschönigend „Reichskristallnacht“ genannt, doch diese Pog-romnacht war ein öffentlich für alle Menschen sichtbarer Auftakt für die folgende systematischen Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung der Juden in Deutschland. 

Warum heute hier am Südbahnhof? Wahrscheinlich geht es vielen von Ihnen so wie mir auch: Diese Gedenktafel hier übersieht man leicht, selbst wenn man regelmäßig hier vorbei kommt. Diese Tafel erinnert seit 2011 daran, dass in den Tagen nach dem 9. November 1938 über 3000 jüdische Männer aus Frankfurt hier vom Südbahnhof aus in die Konzentrationslager Buchenwald und Dachau deportiert wurden. Einschüchterung, Angst, körperliche Misshandlungen waren bewusster Teil dieser Aktion, die letztendlich zu dem Massenmord an Juden und anderen Bevölkerungsgruppen hinführte. Wir werden gleich einen Ausschnitt aus einem Bericht eines damals von hier Deportierten hören. 

Erinnern heißt handeln. Die Erinnerung an das, was damals geschah, soll uns berühren. Soll uns bewusst machen, was Menschen damals angetan wurde.  Die Erinnerung  soll aber auch unseren Blick für die Gegenwart schärfen.

Wenn wir die Erinnerung an die Gräuel der Nazizeit wachhalten, dann werden wir jeglichen fremdenfeindlichen, rassistischen oder antisemitischen Parolen entgegentreten, die auch heute immer wieder zu hören sind leider durchaus Gehör finden.

Als Christen sind wir der Überzeugung, dass jeder Mensch - gleich welcher Her-kunft - ein geliebtes Kind Gottes ist. 

Ein Augenzeuge

Am Abend des 10. November 1938 und an den folgenden Tagen werden von der Festhalle die verhafteten jüdischen Männer auf Lastkraftwagen zum Südbahnhof gefahren. Einer von ihnen ist der  Rechtsanwalt Julius Meyer. Er beschreibt, was er damals hier am Südbahnhof erlebt hat:    

„Da stehen dicht gedrängt Scharen von Menschen, um zuzusehen. Kopf und Nerven zusammengenommen! Schnell raus und hinein durch die Schranke dort vorn in den Bahnhof. Ein wüstes Gejohle geht los und empfängt uns. Durch! Die Stufen hinunter zur Unterführung, marsch, marsch, durch diese hindurch, dem Polizeischutzmann nach, der uns ruft. Wir sammeln uns am anderen Ende der Unterführung, wo uns Schutzleute unter Leitung eines Polizeioffiziers ausgesprochen freundlich in Empfang nehmen. Dann aber erfahren wir: Es sind nicht alle so ungeschoren wie wir in und durch die Unterführung gekommen. Wir waren im ersten Auto. Die Insassen der folgenden Wagen sind nicht nur mit Zurufen empfangen worden, sondern mehrere Mädchen und Frauen und dann auch Männer haben darauf losgehauen, geprügelt, mit Stöcken und Schirmen geschlagen, wahrscheinlich auch mit schwereren Gegenständen. Sonst wäre es undenkbar und unverständlich, dass zahlreiche jüdische Männer nicht nur Beulen, sondern stark blutende Reiß- und Kratzwunden davongetragen haben. Der Polizeileutnant ist anfangs fast machtlos. Man sieht es seinem feinen, wohlerzogenen Gesicht an, wie peinlich ihm diese Vorfälle sind, und seine Beamten sagen uns, wie gemein es ist, dass man uns wehrlose Leute so behandelt. Auch diese Qual hat ein Ende, und wir sitzen im Zug, in den man uns verladen hat.“

Der Zug mit Julius Meyer und weiteren 338 Verhafteten fährt zum KZ Buchenwald in der Nähe Weimars. Nachweisbar 61 in Frankfurt geborene Deportierte sterben in Buchenwald, der jüngste mit 20, die ältesten mit 63 Jahren. Bereits in den ersten Tagen teilt das Lagerkommando über Lautsprecher die Bedingungen für eine Freilassung mit: Verkauf von Eigentum an Häusern, Geschäften, Fabriken und Nachweis einer Auswanderungsmöglichkeit. Ephraim Franz Wagner aus Frankfurt, der eine Einwanderungserlaubnis nach Palästina erhalten hatte, beschreibt die Entlassungsprozedur:

„Mir wurde der Kopf kahlgeschoren, Formulare mussten unterschrieben werden, in denen ich eidesstattlich zu erklären hatte, dass man mich gut behandelt hätte; zudem wurde mir unzweideutig erklärt, dass ich erneut ins KZ käme, falls ich Deutschland nicht bis Ende Februar verlassen hätte.“

(c) Wolfgang Wippermann: „Das Leben in Frankfurt zur NS-Zeit. Die nationalsozialistische Judenverfolgung“, Frankfurt 1986.

Gemeinsam erinnern wir ...

Gemeinsam erinnern wir uns daran, dass im November 1938   3155 Bürger unserer Stadt ohne Grund verhaftet, ihrer Freiheit und ihres Besitzes beraubt wurden und zur Auswanderung aus ihrer Heimat gezwungen wurden.

Gemeinsam bekennen wir:

Wir stehen heute hier, weil wir trauern um die, die unsere Nachbarn sein wollten und nicht sein durften.

Wir erinnern uns daran, dass da, wo wir jetzt stehen, im November 1938 Sachsenhäuser Mädchen, Frauen und Männer standen, die unter wüstem Gejohle mit Schirmen und Stöcken auf ihnen unbekannte Menschen einschlugen - nur, weil sie Juden waren.

Gemeinsam bekennen wir:

Wir stehen heute hier, damit nie wieder Menschen unserer Stadt andere Menschen oder Menschengruppen demütigen, schlagen und verspotten.

Wir erinnern uns daran, dass Bürger unserer Stadt, Bürger, die alles getan hatten, um sich zu integrieren und sich zum Wohle dieser Stadt einzubringen, aus ihren Wohnungen herausgerissen und in Konzentrations-lager verfrachtet wurden.

Gemeinsam bekennen wir:

Wir stehen heute hier, damit niemals wieder Bürger unserer Stadt deportiert und verschleppt werden.

Die Erinnerung an die Pogrome, zu denen Bürger unserer Stadt sich 1938 zusammengerottet haben, schärft unseren Blick für das Unmenschliche und Böse, das Menschen anderen Menschen antun können.

Dass ausgerechnet heute, am 9. November, ein Mann zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde, der im Wahlkampf durch rassistische, frauenfeindliche, menschenfeindliche Äußerungen die Gesellschaft seines Landes gespalten hat, erfüllt uns mit tiefer Sorge.

Gemeinsam bekennen wir:

Das jüdische Gebot der Nächstenliebe, das der Jude Jesus zum höchsten christlichen Gebot erhoben hat, soll unser menschliches Miteinander durchdringen – über alle Grenzen und über alle unterschiedlichen Religionen hinweg.

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