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Predigt zur Kantate BWV 222 "Mein Odem ist schwach" Johann Ernst Bach - Pfarrer Thomas Sinning

Liebe Musizierende, Ihnen allen möchte ich sehr herzlich danken für diese berührende Aufführung dieser Kantate. Herzlichen Dank für diese wunderbare Musik! 

Liebe Gemeinde! Diese Musik ist großartig. Aber der Text dieser Kantate ist eine Zumutung. „O, seyd mir sehnsuchtsvoll geküßt, ihr Seufzer meiner letzten Stunden.“ Hier wird ein geradezu intim-lustvolles Verhältnis zur eigenen Todesstunde ausgedrückt. Wer kann denn das nachempfinden? Ich nicht, und wahrscheinlich geht es den meisten von Ihnen genauso. 

Kenne ich nicht vielmehr das Gefühl, Angst vor dem Sterben zu haben? Habe ich nicht viele Fragen und wenige überzeugenden Antworten auf die Frage, was der Tod für mich bedeutet? Ist mir nicht der Gedanke, von den Menschen, die ich liebe, Abschied zu nehmen, ein sehr schmerzvoller, den ich kaum ertragen kann? Vielleicht habe ich sogar noch Gefühle der Trauer und des Schmerzes in mir, die es mir unmöglich machen, diese Verklärung der Todesstunde nachzuvollziehen. 
Es ist gut, sich das klar zu machen. Und ich glaube, dass auch der unbekannte Verfasser des Librettos dieser Kantate, die wohl nicht von Johann Sebastian, sondern dem Sohn  seines Cousins Johann Ernst Bach komponiert wurde, dass also der Verfasser des Textes dieser Kantate selber auch den zweifelnden Gedanken und den schmerzlichen Gefühlen, die mit dem Tod verbunden sind, viel näher war als jener gläubigen Todessehnsucht, die hier zum Ausdruck kommt. 
Vielleicht sind aber gerade deshalb diese Worte gewählt worden; sie sollen Gewissheit geben, wo Zweifel bestehen. Sie sollen Trost spenden, wo es keinen Trost zu geben scheint. Wie aber ist das möglich?
Die Auswahl der biblischen Texte, die der Kantate zugrunde liegen, führt uns zu zwei Personen: zum Apostel Paulus, und zu Simeon.  Wenn wir ihre Geschichten betrachten, dann können wir vielleicht eine Ahnung bekommen von dem, was Menschen im Angesicht des Todes stärken und trösten kann. Und dann können wir verstehen, dass unser Glaube an Jesus Christus so sehr vom Leben durchdrungen ist, dass der Tod dagegen nicht mehr ankommen kann. 
„Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten, hinfort ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit, welche mir der Herr an jenem Tage, der gerechte Richter geben wird.“ So könnte die Lebensbilanz des Apostels Paulus lauten. 
Diese Worte aber stammen gar nicht von Paulus selbst, sondern von einem seiner Schüler. Er hat sie gewissermaßen Paulus in den Mund gelegt im 2. Timotheusbrief: Völlige Gewissheit, völliger Frieden im Rückblick auf das eigene Leben. 
Wer kann das von sich sagen? Wahrscheinlich hätte Paulus das selber so gar nicht zu sagen gewagt. Kannte er doch auch das Zerissensein der Gefühle angesichts seines nahen Todes, wie er es im Philipperbrief beschreibt; und er wusste sehr wohl, wie sich das anfühlt, wenn man immer wieder um Heilung von einem Leiden bittet und das Gebet nicht so erhört wird, wie erhofft.  
Aber: Paulus hat sein Leben aktiv gelebt. Und vor allem: Er hat in der Nachfolge Christi gelebt. Und so kann er schließlich dem Leben wie auch dem Sterben Gutes abgewinnen: „Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn,“ schreibt er. 
Paulus ist sich dessen gewiss, dass die künftige Herrlichkeit, das unverstellte „Bei-Christus-Sein“, eine unvorstellbar schöne Aussicht ist, die ihm die Angst vor dem Sterben nimmt. 
Wenn er sagt: „Ich habe Lust, außer dem Leibe zu wallen und daheim zu seyn bei dem Herrn,“ wie es im Schlußchor heißt, so geht dieser Satz ja noch weiter im Philipperbrief des Apostels. Paulus sagt nämlich: „aber es ist nötiger, im Fleisch zu bleiben um euretwillen.“ (Phil.1,23f)
Paulus ist sich der himmlischen Herrlichkeit gewiss. Auf der anderen Seite aber sieht Paulus sehr klar, wie gut und wichtig sein jetziges Leben ist. Darum lässt er sich nicht durch eine Himmels- oder Todessehnsucht abbringen von dem Leben in dieser Welt, in der er so vieles tun und bewirken kann und die Gemeinschaft mit anderen lieb gewonnen Menschen genießen kann. 
Der Apostel schreibt also nicht innerlich entrückt, sondern mitten in den Belastungen seines gegenwärtigen aktiven Lebens diese Worte: „Unser Wandel ist im Himmel, von dannen wir auch warten des Heilandes, Jesu Christi, des Herrn, welcher unsern nichtigen Leib verklären wird, dass er ähnlich werde seinem verklärten Leibe. Wir aber sind getrost und haben vielmehr Lust außer dem Leibe zu wallen und daheim zu sein bei dem Herrn.“ Soweit Paulus. Aber was ist mit uns? Kann man mit solchen Worten Menschen wirklich trösten, ermutigen, stärken? 
Man kann es nicht, wenn man damit einen Menschen vertrösten wollte angesichts seines persönlichen Leides. Ich erinnere mich an einen Menschen, der mir erzählte, wie furchtbar er es empfunden habe, als ein sehr geliebter Mensch gestorben war, dass ihn jemand mit dem Gedanken an die Auferstehung trösten wollte. Es war in diesem Moment ein theoretischer, ein ferner, ein fremder Gedanke, mehr nicht. Und deshalb war es kein Trost. Es war furchtbar. 
Trost liegt nicht in der Zukunft, nicht im Jenseits, nicht in einer frommen Theorie. Trost geschieht im hier und jetzt, wo ein Mensch da ist, wo einer nahe ist und meine Gefühle teilt. 
Können also die Worte vom himmlischen Leben, wie sie der Apostel Paulus schreibt, trösten? Ja, sie können tatsächlich trösten, und zwar dann, wenn sie Teil meines Grundvertrauens sind, dass ich zu Gott habe. Wenn die Hoffnung auf die ewige Geborgenheit bei Gott zu meinem ganzen Leben gehört, nicht nur in den bangen und schweren Stunden, sondern jetzt in der Gegenwart, in der ich auch genauso die schönen Momente meines Lebens als Geschenk des Himmels verstehen und genießen kann; und die dann zu einem Vorgeschmack dessen werden, was ich im Vertrauen auf Gott als letztes Ziel für mein Leben erhoffe. 
Trost ist nur dann Trost, wenn er mir mitten in meinem Leben etwas gibt, hier und heute. Deshalb schreibt Paulus bei aller Gewissheit der himmlischen Herrlichkeit: „Es ist nötiger, in diesem Leben zu bleiben, um euretwillen.“ (Phil.1,24)
Das Nötige im Blick zu behalten ist wichtig. Nur so kann das Leben gelingen. Wer als Wanderer ein Ziel hat, trägt es im Herzen, aber er schaut nicht dauernd zu dem Gipfel, den er erreichen will, denn sonst scheitert er womöglich an den Steinen, die direkt vor ihm auf dem Weg liegen, und stolpert über sie. Ein Wanderer schaut besser nach vorne auf den Weg, und da sieht er seine Mitwanderer, und er freut sich an dem Zusammensein mit ihnen. 
Dietrich Bonhoeffer sagt: „Der Ernst des christlichen Lebens liegt allein im Letzten, aber auch das Vorletzte hat seinen Ernst, der freilich gerade darin besteht, das Vorletzte niemals mit dem Letzten zu verwechseln.“ (Ethik, DBW 6, S. 137ff) Das Letzte, im allerbesten Sinne, ist das, was Gott uns in Christus schenkt. Seine Gerechtigkeit und das ewige Leben in ihm. Das aber führt eben nicht dazu, dass unser Leben hier und jetzt unwichtig würde, sondern es hat seine eigene, von Gott geschenkte, ernst zu nehmende Würde und Schönheit. 
Wer also diese Unterscheidung von Vorletztem und Letztem begriffen hat, der hat wirklichen „Trost im Leben und im Sterben“, wie es im Heidelberger Katechismus heißt. 
Hier lohnt ein abschließender Blick auf den greisen Simeon, der im hohen Alter, kurz vor seinem Tode, die Erfüllung seiner Hoffnung erleben darf: Er hat den neugeborenen Jesus auf den Armen und ist sich dessen gewiss, dass er der Messias ist. 
Simeon hat sein Leben gelebt, in Vorfreude. Das können wir alle. Aber es muss gelebt werden, hier und jetzt. Mit aller Lust und mit allen Herausforderungen und Belastungen. Und mit der Hoffnung, dass Gott am Ende seine Verheißungen erfüllen wird. 
Sind also diese Worte, die wir gehört haben, eine Zumutung? Ja, in der Tat. Aber eine Zumutung im doppelten Sinne: uns wird Mut zugesprochen angesichts der Vergänglichkeit und Begrenztheit unseres Lebens. Mut in der Gewissheit, auf ewig in Gott geborgen zu sein. Also: Mut zum Leben. Auch im Angesicht des Todes.           Und der Friede Gottes ….

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