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Gottesdienst zum 3. Sonntag nach Trinitatis aus der Bergkirche

Predigt zum 3. Sonntag nach Trinitatis am 03.07.2022 aus der Bergkirche

Liturgie und Predigt: Vikar Dr. Simeon Gerrit Nentwig
(Predigt und der Gottesdienstablauf lagen als Text vor und wurden verlesen)

Meine Tür ist offen, jederzeit.

Gnade sei mit euch von dem, der da ist, der da war und der da kommt. Amen.

Predigttext: Hesekiel 18, 1-4, 21-24, 30-32

"1Und des HERRN Wort geschah zu mir: 2Was habt ihr unter euch im Lande Israels für ein Sprichwort: »Die Väter haben saure Trauben gegessen, aber den Kindern sind die Zähne davon stumpf geworden«? 3So wahr ich lebe, spricht Gott der HERR: dies Sprichwort soll nicht mehr unter euch umgehen in Israel. 4Denn siehe, alle Menschen gehören mir; die Väter gehören mir so gut wie die Söhne; jeder, der sündigt, soll sterben.
21Wenn sich aber der Gottlose bekehrt von allen seinen Sünden, die er getan hat, und hält alle meine Gesetze und übt Recht und Gerechtigkeit, so soll er am Leben bleiben und nicht sterben.22Es soll an alle seine Übertretungen, die er begangen hat, nicht gedacht werden, sondern er soll am Leben bleiben um der Gerechtigkeit willen, die er getan hat. 23Meinst du, daß ich Gefallen habe am Tode des Gottlosen, spricht Gott der HERR, und nicht vielmehr daran, daß er sich bekehrt von seinen Wegen und am Leben bleibt? 24Und wenn sich der Gerechte abkehrt von seiner Gerechtigkeit und tut Unrecht und lebt nach allen Greueln, die der Gottlose tut, sollte der am Leben bleiben? An alle seine Gerechtigkeit, die er getan hat, soll nicht gedacht werden, sondern in seiner Übertretung und Sünde, die er getan hat, soll er sterben. 30Darum will ich euch richten, ihr vom Hause Israel, einen jeden nach seinem Weg, spricht Gott der HERR. Kehrt um und kehrt euch ab von allen euren Übertretungen, damit ihr nicht durch sie in Schuld fallt. 31Werft von euch alle eure Übertretungen, die ihr begangen habt, und macht euch ein neues Herz und einen neuen Geist. Denn warum wollt ihr sterben, ihr vom Haus Israel? 32Denn ich habe kein Gefallen am Tod des Sterbenden, spricht Gott der HERR. Darum bekehrt euch, so werdet ihr leben."

Das Wort des Herrn sei lebendig in unseren Herzen und es rühre unsere Lippen an, dass unser Mund seinen Ruhm verkündige. Amen.

Der heutige Predigttext, liebe Gemeinde, hat mich zwiegespalten hinterlassen. Befreiung und Verwerfen gehen Hand in Hand. Einerseits erhebt Gott Anspruch auf den Menschen, andererseits macht er ihn frei. Ich will versuchen, mich dem mit Ihnen gemeinsam zu nähern.

Die ersten vier Verse find ich widersprüchlich. Zwar sollen die Kinder nicht für die Väter verurteilt werden. Aber trotzdem: Tod für alle Sünder!

Im Folgenden wird der Begriff des Sünders differenziert. Vielleicht sind es Verse wie diese, die Luther geprägt haben. Gerechtigkeit, Rechtfertigung, wird gemessen am Gesetz. Einem Gesetz, so absolut, daß es fern scheint. Ist es erfüllbar? Und noch dazu: Gesetzestreue ist nicht absolut, ist kein abgeschlossener Prozess. Ein scheinbar Gerechter kann genauso untergehen wie ein offensichtlicher Sünder. Bemerkenswert dabei: Der Begriff der Übertretung. Das hebräische Wort bedeutet eigentlich Treuebruch. Gott erhebt Anspruch auf die Menschen, könnte man meinen, und wer fehlgeht, der bricht die Treue. Auf den ersten Blick ist es bedrückend, wenn der Mensch wie Gottes Besitz erscheint. So erhebt sich Luthers alte Frage: Kann der Mensch das Gesetz überhaupt erfüllen? Kann man denn vor Gott gerecht sein?

Demgegenüber fallen die Verse 30-32 aus dem Rahmen. Gemessen am Vorigen, fleht Gott geradezu um die Menschen. Er ruft zum Bekehren, wörtlich zur Umkehr auf.

Und das ist die Essenz, das Zentrum dieses Textes: Gott gibt niemanden verloren. Bei allen Reden über Treuebruch, Übertretung steht der eine große Satz: Meine Tür ist offen, jederzeit.

Und so wird aus diesem Text, so widersinnig es scheint, ein befreiendes Wort. Vers 4 sagt: Wer sündigt, soll sterben. Befreiend? Ja! Wer sündigt, soll sterben, aber eben nur der! Blutrache, Kollektivhaftung, die soll es nicht geben.

Manchmal werden solche Sätze in einer Weise gebraucht, die problematisch ist. Immer wieder kommt die -teils sehr aggressive- Debatte auf, Schlussstriche zu ziehen, vor allem unter die NS-Vergangenheit. Allzu oft kommt die Forderung von Menschen, bei denen man fürchtet, sie wollten diese Vergangenheit wieder zur Gegenwart machen.

Es ist wichtig, diesen Satz Hesekiels nicht mißzuverstehen. Er bedeutet, daß Kinder nicht für die Taten ihrer Eltern in Haftung genommen werden können. Bis heute ist etwa Blutrache in der Welt, bis heute umfassen Familienstreite Generationen. Dem gilt es, einen Riegel vorzuschieben. Weder physisch noch moralisch sind Kinder für die Taten ihrer Eltern verantwortlich. Doch genauso wenig sind die Väter aus der Verantwortung für ihre Taten zu entlassen. Das ist nicht gemeint. Was gemeint ist, ist Bekehrung. Wörtlich: Umkehr.

Das ist interessant im Zusammenhang mit Vers 4. Alle Menschen gehören Gott. Das klingt besitzergreifend. Es betont aber: Gott läßt uns nicht fallen. Gott wirft nicht weg. Gott repariert. Des Menschen Existenz gründet sich in Gott, er ist, Anfang, Ziel und Summe unseres Lebens. Letztlich fehlt also dem, der sich abwendet, etwas. Gott will, dass wir komplett sind.

Daher die Möglichkeit der Umkehr, der Rückkehr. Des Bekehrens. Wir können immer wieder heil werden.

An dieser Stelle stolpere ich häufig bei der Lektüre dieses und vergleichbarer Texte. Ich frage mich: Was ist mit denen, die durch die Fehler anderer gelitten haben?

Für die ist der Gedanke, dass denen, unter denen sie gelitten haben, vergeben wird, schon schlimm genug.

Umso mehr, wenn sie gedrängt werden, nun auch zu vergeben. „Das ist doch schon so lange her!“, „Nun lass doch auch mal gut sein!“.

Solche und andere Sätze fallen dann. Vor langen Jahren kannte ich jemanden, der im Nationalsozialismus wegen seiner Behinderung drangsaliert wurde. Nach der Befreiung, so habe ich später erfahren, gab er einem derer, die ihn damals verfolgt haben, den sogenannten Persilschein – er ließ sich überreden, da „man als Christ doch vergeben müsse“. Ich kannte den Mann als guten Christen, doch ich möchte nicht wissen, wie schwer er sich hier getan haben muß.

Ein andermal erzählte jemand, daß sie im Gottesdienst ausgerechnet mit einer Kundin, die ihr Geld schuldete, zum Abendmahl ging. Nach dem Gottesdienst sagte die Schuldnerin, nun dürfe sie das Geld ja nicht mehr eintreiben, Abendmahl sei ja Vergebung.

Solches Verhalten ist einfach nur dreist. Vielleicht hat der Autor des Predigttextes daran gedacht, als Vers 24 entstand („Und wenn sich der Gerechte abkehrt von seiner Gerechtigkeit und tut Unrecht und lebt nach allen Greueln, die der Gottlose tut, sollte der am Leben bleiben? An alle seine Gerechtigkeit, die er getan hat, soll nicht gedacht werden, sondern in seiner Übertretung und Sünde, die er getan hat, soll er sterben.“). Gerechtigkeit ist kein Selbstzweck.

Auf den ersten Blick wirkt der Vers drohend. Man kann noch so gut sein, wenn ein Fehler passiert, war alles umsonst.

Das mag ein Grund für Luthers Verzweifeln am Gesetz gewesen sein – es ist doch ohnehin nicht erfüllbar. Ein Fehler, vielleicht unwissend, schon ist man wieder gottlos.

Ich sehe den Text gerade als Gegensatz zu solchen Schwarz-Weiß-Konzepten. Im Gegenteil. Er löst sie auf. Es gibt keine geborenen Gerechten und keine zwangsläufig Gottlosen.

Von einem solchen Schema abzuweichen, eröffnet Chancen.

Die Chance zu ehrlicher Bekehrung, zu ehrlicher Rückkehr. Zu einer Rückkehr in der Erkenntnis, Fehler gemacht zu haben. Zu einer Rückkehr, einer Bekehrung ohne den Zwang, irgendwie auszugleichen zu müssen, nach neun bösen nun zehn gute Taten zu tun und damit wieder gerecht zu sein.

So drängt man die Fehler nicht von sich weg. So kann man, so können wir nachdenken, was schiefgelaufen ist, welche Fehler gemacht wurden. Und wie diese Fehler gewirkt haben. Das macht fähig, die, die Nachteile hatten, gelitten haben, aufrichtig um Vergebung zu bitten.

Ein Aufrechnen „neun schlecht, zehn gut“, das trennt. Von denen, die Nachteile hatten. Von uns selbst. Denn Fehler, die wir machen, gehören zu uns.

Und es trennt von Gott. Denn zu ihm können wir auch mit unseren Fehlern kommen. Er kennt sie ohnehin. Und nimmt uns an. Auch mit diesen Fehlern. So, wie wir sind. Luther nannte es „simul iustus et peccator“, Sünder und Gerechter zugleich.

Und hier öffnet sich wie wahre Dimension der Gnade. Sie ist nichts, worum wir auf Knien flehen müssen. Gott gibt sie uns in und durch den Glauben an ihn. Mit Fehlern können wir leben. Können mit ihnen umgehen ohne Trotzigkeit, ohne Aufrechnen, ohne sie von uns zu schieben.

Diese Seite anzunehmen, macht uns eins und heil. Damit wir leben können. Eins mit uns. Eins mit den Menschen um uns. In Freude und Trauer, im Richtigen und im Falschen.

Und eins mit Gott, in dem wir uns gründen und der mit uns leben will.

So kann das Abendmahl, das wir miteinander feiern und das beispielhaft für Vergebung steht, zum Sakrament, zum Heil-Mittel werden. In der Gemeinschaft mit Gott erfahren wir Zuspruch. Erfahren wir Vergebung. Erfahren wir Gemeinschaft. So, wie wir sind.

Gott will, das wir leben.

Darum: Lechaim. Auf das Leben.

Amen.


Und der Friede Gottes, der höher ist denn aller Menschen Begreifen und Verstehen, Wollen und Vermögen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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