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Sommerpredigtreihe: Gleichnisse Jesu - „Der verlorene Sohn“

Frieden, Versöhnung und Glück

Predigt gehalten von Pfarrer Jürgen Seidl zum 11. Sonntag nach Trinitatis am 15.08.2021 aus der Bergkirche/ Dreikönigskirche.

Liturgie und Predigt: Pfarrer Jürgen Seidl

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Der Predigttext in unserer Sommerpredigtreihe zu den „Gleichnissen Jesu“ ist heute das Gleichnis Jesu vom verlorenen Sohn. Es steht im Evangelium nach Lukas im 15. Kapi­tel.

Predigttext: Lukas 15,1 – 3.11 - 24

"Es nahten sich ihm aber alle Zöllner und Sünder, um ihn zu hören. Und die Pharisäer und die Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen. Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach: Ein Mensch hatte zwei Söhne. Und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater: Gib mir, Vater, das Erbteil, das mir zusteht. Und er teilte Hab und Gut unter sie. Und nicht lange danach sammelte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land; und dort brachte er sein Erbteil durch mit Prassen. Als er aber alles verbraucht hatte, kam eine große Hungersnot über jenes Land, und er fing an zu darben und ging hin und hängte sich an einen Bürger jenes Landes; der schickte ihn auf seinen Acker, die Säue zu hüten. Und er begehrte, seinen Bauch zu füllen mit den Schoten, die die Säue fraßen; und niemand gab sie ihm. Da ging er in sich und sprach: Wie viele Tagelöhner hat mein Vater, die Brot in Fülle haben, und ich verderbe hier im Hunger! Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße; mache mich einem deiner Tagelöhner gleich! Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater. Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater, und es jammerte ihn und er lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn. Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße. Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße und bringt das gemästete Kalb und schlachtet’s; lasst uns essen und fröhlich sein! Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein."

Frieden, Versöhnung und Glück

Man kann darin das Zeichen einer Lebenskrise sehen, liebe Gemeinde: Ein Mann um die dreißig verlässt plötzlich seine gewohnte Umgebung. Er trennt sich von seiner Familie. Er gibt seinen Arbeitsplatz auf. Er verzichtet wohl auch auf seinen Anteil am Erbe des Vaters. Er widersetzt sich allen Versuchen seiner Angehörigen, ihn zur Vernunft zu bringen und wieder nach Hause zu holen. Er zieht umher, sammelt einige Schüler um sich, heilt Kranke und verkündigt das Reich Gottes. Und irgendwann auf seiner Wanderschaft durch das Land erzählt er die Geschichte vom verlorenen Sohn.

Jesus hat diese Geschichte seinen Kritikern erzählt, Menschen, die sich über seinen Umgang mit Außenseitern empörten. Wollte er ihnen mit dieser Geschichte eine neue Seite von Gott nahebringen? Eine Seite, die sie in ihrer Frömmigkeit sträflich vernachlässigten? Gott erscheint im Gleichnis Jesu nicht als strenger Richter, der den Menschen nach seiner Lebensleistung beurteilt. Gott ist vielmehr der barmherzige Vater, der noch den verlorensten Menschen mit offenen Armen empfängt.

Für uns würde die Geschichte dann eine Ermutigung und eine Ermahnung enthalten. Die Ermutigung: Vertraut der Barmherzigkeit Gottes. Der reuige Sünder, der seine Schuld bekennt und zu Gott zurückkehrt, wird von ihm nicht abgewiesen, sondern mit Freude wieder aufgenommen. Und die Ermahnung: Verachtet die nicht, die nach den Maßstäben von Religion und Moral als gottlos gelten. Gottes Gnade und Liebe gilt gerade ihnen.

Aber das ist vielleicht noch etwas zu theologisch formuliert und zu wenig erfahrungsbezogen. Jesus hat ja selbst sein Elternhaus verlassen - und berichtet nun von einer unwahrscheinlich schönen Heimkehr. Aus eigener Erfahrung erzählt Jesus eine Familiengeschichte: Menschen suchen miteinander, aber auch gegeneinander nach dem gelingenden Leben. Sie trennen sich. Sie fügen einander Verletzungen zu. Aber sie finden auch wieder zusammen. Und am Ende feiern sie ein Fest:

„Und sie fingen an, fröhlich zu sein.“

Wie soll ich leben? Diese Frage stellt man sich nicht nur in jungen Jahren. Sie lässt einen nicht los, auch wenn man mit zunehmendem Alter einen geordneten Lebensrahmen gefunden hat. Wie soll ich leben? In den Bahnen, die mir vorgezeichnet werden? Im Kreis der Familie, mit einem gut bezahlten Beruf, von der Gesellschaft anerkannt, so dass alles seinen gesicherten Gang geht und selbst die Lebenskrisen planmäßig auftreten? Oder soll ich es riskieren, neue und eigene Wege zu gehen? Heraus aus den Zwängen und Forderungen, die mich umgeben? Soll ich es wagen, meine Träume und Phantasien zu verwirklichen – damit nicht so vieles ungelebt bleibt, was in mir steckt? Soll ich es wagen, auch auf die Gefahr hin, damit Anstoß zu erregen und am Ende vielleicht sogar zu scheitern?

Der eigenständige und risikofreudige Lebensstil kommt in unserer Geschichte nicht gut weg. Die Moral von der Geschichte scheint zu sein: Bleibe im Lande und nähre dich redlich. Der Ausbruchsversuch des jüngeren Sohnes wird aus dramaturgischen Gründen abgewertet. Er scheitert und kann froh sein, in die geordnete Welt seines Vaters wieder aufgenommen zu werden. Das ist mit unseren modernen Augen betrachtet sicher eine Schwäche der Geschichte. Sie ist aus der Perspektive einer Gesellschaft erzählt, in der man sich eine große Vielfalt ganz individueller Lebensentwürfe nicht vorstellen konnte.

Jesus selbst scheint da schon weiter gewesen zu sein. Denn das Leben in der Nähe Gottes hat für ihn die herkömmlichen Verhaltensmuster gesprengt. Jesus ist ausgebrochen aus der Sicherheit geordneter Verhältnisse. Er hat im Angesicht des nahen Gottesreiches gelebt. Ohne die Nähe zu seiner irdischen Familie und im Vertrauen auf seinen himmlischen Vater.

Und er hat doch gleichzeitig die Geschichte vom verlorenen Sohn erzählt. Bei Jesus ist beides zu finden: der Ausbruch aus dem behüteten und geordneten Leben in der Familie. Und die Sehnsucht nach der Rückkehr ins Vaterhaus. Die offene Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit den religiösen Autoritäten seiner Zeit und die Hoffnung auf eine Zeit, in der alle Konflikte an ihr Ende kommen.

Die Geschichte Jesu erzählt etwas, das fast jedem einleuchten kann. Sie bezieht sich auf Erfahrungen, die wir alle machen. Sie formuliert Hoffnungen, die wir alle hegen. Und zuletzt berichtet sie von einem glücklichen Ausgang.

Hier geht es um unsere Lebensgeschichten. Um die Trennungen, die wir im Laufe unseres Lebens vollziehen. Um die Niederlagen und Leiden, die wir ertragen müssen. Auch um die Streitigkeiten mit anderen Menschen, in die wir immer wieder geraten. Älter werden, Erwachsen werden - das heißt immer auch: Vergangenes hinter sich lassen, Abschied nehmen, weggehen und weitergehen.

Und dennoch ist da die Hoffnung auf Heimkehr. In unserem Herzen wohnt auch das Gefühl: nicht die Trennung, nicht die Konflikte, und auch nicht das Scheitern sind der letzte Akt der Geschichte. In jeder Komödie, von Shakespeare und Molière bis hin zum einfachen Bauernschwank, behauptet das glückliche Ende: Die Trennung der Liebenden wird überwunden. Gesellschaftliche Schranken werden aus dem Weg geräumt. Am Schluss herrscht einzig die Liebe. Der junge Mann und seine Braut. Der Sohn und der Vater. Die verfeindeten Brüder – sie alle werden sich finden, und das Fest der Versöhnung beginnt.

In bestimmter Hinsicht ist der christliche Glaube die religiöse Idee der Komödie. Denn auch der christliche Glaube sagt: Alles wird gut. Das wird hier noch präzisiert: Gott wird alles gut machen. Die Trennungen werden nicht mehr sein. Die Konflikte werden nicht mehr sein. Und der Vater sagt den wunderbaren Satz:

„Dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden“ (Lk 15,24).

Mir steht dabei ein Bild von Rembrandt vor Augen. Es hängt in der St. Petersburger Eremitage. Es war auch im letzten Gemeindeblick zu sehen, in dem die Sommerpredigtreihe angekündigt wurde. Und in der aktuellen Ausgabe ist ein Ausschnitt daraus auf der Rückseite noch einmal abgebildet. Da sieht man den heimgekehrten Sohn vor seinem Vater knien. Der Vater beugt sich zu ihm, zieht den Kopf des Sohnes an seine Brust und legt seine Hände auf dessen Rücken. Die linke Hand des Vaters wirkt kräftig, eine Männerhand; die rechte dagegen ist zarter und feingliedriger, eine Frauenhand. Vielleicht wollte Rembrandt so auch die Mutter ins Bild bringen, von der in dieser Geschichte ja nicht die Rede ist. Oder er wollte die mütterliche Seite Gottes darstellen und die liebende Annahme des heimgekehrten Sohnes besonders betonen.

Natürlich ist diese Geschichte von der Heimkehr des Sohnes höchst unwahrscheinlich. Wo gibt es solch einen Sohn? Wo gibt es solch einen Vater? Wo gibt es solch eine Welt mit Frieden, Versöhnung und Glück? Aber sollen wir Jesus nur deshalb nicht glauben, weil seine Geschichte mehr unserer Sehnsucht und unseren Wünschen entspricht als der gegenwärtig erfahrbaren Wirklichkeit?

Das Gleichnis Jesu ist ja nicht einfach eine Geschichte aus unserer Lebenswelt, sondern als Gleichnis ist es vor allem eine Geschichte von Gott, die Jesus erzählt. Eine Geschichte von Gottes Liebe und Vergebung und von Gottes Freude über jeden einzelnen Menschen, der zu ihm zurückfindet. Und deshalb ist die Geschichte nicht zu schön, um wahr zu sein, sondern sie ist so schön, weil sie wahr ist, weil Gott selbst in seiner Liebe für ihre Wahrheit einsteht. Eben diese Liebe Gottes wird ja in der Lebensgeschichte Jesu spürbar, in seinen Gleichnissen, seinen Heilungen und Wundern, aber natürlich vor allem in seinem Leiden, Sterben und Auferstehen.

„Und sie fingen an fröhlich zu sein“.

Bei diesem Satz am Ende der Geschichte geraten die Grenzen zwischen der realen und der fiktiven Welt durch-einander. Die Menschen in der Geschichte fangen an fröhlich zu sein. Und vielleicht ist das ja ansteckend. Vielleicht fangen auch wir, die wir außerhalb dieser Geschichte leben, an, fröhlich zu werden, weil die Menschen in der Geschichte sich freuen. Vielleicht fängt ja auch die Weltgeschichte einmal an, fröhlich zu werden, weil Jesus, der diese schöne Geschichte erzählt hat, mit ihrem guten Ende endgültig Recht behalten wird. Amen.

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