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Eine Corona-Predigt?

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Predigt gehalten von Pfarrerin Silke Alves-Christe über Lukas 9,57-62 am Sonntag Okuli, 15. März 2020, in der Dreikönigskirche

Der Predigttext für den heutigen dritten Sonntag der Passionszeit, den Sonntag Okuli, steht im Lukasevangelium in Kapitel 9,57-62:

Vom Ernst der Nachfolge

Und als sie auf dem Wege waren, sprach einer zu ihm:
Ich will dir folgen, wohin du gehst.
Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben
und die Vögel unter dem Himmel haben Nester;
aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.
Und er sprach zu einem andern: Folge mir nach!
Der sprach aber: Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe.
Er aber sprach zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!
Und ein andrer sprach: Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, dass ich Abschied nehme von denen, die in meinem Hause sind.
Jesus aber sprach zu ihm: Wer die Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.

Gott, ich suche Halt und Wegweisung.
Mach mich offen für dich und gib mir ein Wort, das mich trifft. Amen.

Liebe Gemeinde!

Mit der Aktualität von Predigt ist das so eine Sache. Nicht wenige von Ihnen sind heute in die Kirche gekommen, sehr stark betroffen von der großen Verunsicherung, vor die uns diese völlig neue Situation einer Pandemie stellt. Andere sind ganz erschlagen von der Intensiv-Berichterstattung der Medien rund um die Uhr, von den vielen, viel zu vielen Worten und Zahlen und Schätzungen. Wir alle sind überfordert von den sich täglich oder sogar mehrmals am Tag verändernden Ansagen, was denn nun gilt, was es zu beachten und zu befolgen gilt. Wir sind erfüllt von Sorge um unsere eigene Gesundheit und um die von Gesundheit von Menschen, die uns nahestehen. Das Gefühl, dass überall dieses Virus lauern kann, macht uns nervös und unsicher.

Es fällt mir schwer, einfach so, als sei nichts geschehen, über einen vorgegebenen Bibeltext zu predigen. Über das zu sprechen, was in rasanter Geschwindigkeit unsere Pläne und unsere Gewohnheiten, all unsere Sicherheit, das, worauf wir uns bisher verlassen haben, worauf wir bisher vertraut haben, durcheinanderwirbelt, wäre gewiss auch ein lohnendes Predigtthema. „Durcheinanderwirbler“ ist übrigens die wörtliche Übersetzung des griechischen Wortes „diabolos“, was normalerweise mit Teufel übersetzt wird. Und einige, mit denen ich in den letzten Tagen sprach, haben das Corona-Virus in der Tat als teuflisch, als diabolisch bezeichnet. Wie wahr: ein Virus, das alles durcheinanderwirbelt, was wir in diesen Tagen und Wochen und Monaten so vorgehabt hatten!

Aber bevor ich mich anschickte, eine Corona-Predigt zu halten, fiel mir eine Aussage des Theologen Karl Barth ein, mit dem wir uns in der Dreikönigsgemeinde ja zur Zeit intensiv beschäftigen.

In seiner Predigtlehre erinnert er daran, dass er als ganz junger Pfarrer in seiner ersten Gemeinde im Schweizer Dorf Safenwil oft der Gefahr erlegen war, in seinen Predigten allzu stark Bezug zu nehmen auf Vorfälle und Ereignisse des öffentlichen Lebens in der Welt. Er schreibt später darüber:

„So glaubte ich im Jahr 1912, als der Untergang der Titanic die ganze Welt erschütterte, in der darauf folgenden Sonntagspredigt dieses Unglück zum Hauptthema der Predigt machen zu müssen, so dass geradezu ein Ungetüm einer ganzen Titanic-Predigt zustande kam.“

Ich möchte nun nicht den gleichen Fehler machen, und statt einer Titanic-Predigt Ihnen, liebe Gemeinde, das Ungetüm einer ganzen Corona-Predigt zumuten.

Ich sollte Ihnen heute doch lieber die Erfahrung vermitteln, dass ein Gottesdienst der kurzatmigen Nachrichtengier der Medien einiges Wohltuende entgegensetzen kann: Gebet, hilfreiche Stille, heilsame Melodien und aufbauende, tröstende Worte.

In dem für den heutigen Sonntag vorgegebenen Predigttext fand ich allerdings kein tröstendes, kein aufbauendes, kein beruhigendes Wort. Eher im Gegenteil – das sind doch heftige Provokationen, übertriebene Zumutungen:

Füchse haben Gruben…

Dann das geradezu makabere:

Lass die Toten ihre Toten begraben!

Und schließlich als dritte Provokation:

Wer die Hand an den Pflug legt und sieht zurück

(und sei das auch nur der Abschied von seinen Verwandten),

der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.

Können diese krassen Antworten Jesu in diesen Tagen der Sorgen und der Ängste wirklich Gottes Wort für den heutigen Sonntag sein?

In diesen 3 stilisierten Gesprächsszenen am Anfang von Jesu Weg nach Jerusalem, am Anfang seines Leidensweges, wird deutlich gemacht, dass nur die Jesus nachfolgen können und sollen, die ohne jeglichen Vorbehalt, ohne Zögern dazu bereit sind.

Nachfolge heißt: Mit Jesus den Weg des Leidens gehen.

Nachfolge Jesu besteht nicht in der Übernahme eines Programms oder in der Zustimmung zu bestimmten Werten und Idealen, auch nicht im Kopieren des Weges Jesu.

Weil Nachfolge den ganzen Menschen fordert, lässt sie keine Halbheiten zu.

Die schroffen Antworten Jesu erscheinen dennoch völlig übertrieben.

Wie können solche drastischen Forderungen Gottes Wort für den heutigen Sonntag sein? Wieso sollen die, die heute gewagt haben, in die Kirche zu kommen, sich solche Zumutungen anhören? Wäre es vielleicht doch besser, eine Corona-Predigt zu halten, als eine Predigt über diese krassen Sätze?

Diese Aussagen Jesu widersprechen ganz und gar, durch und durch der Art, wie unsere evangelische Kirche heute alles versucht, um angesichts schwindender Mitgliederzahlen Menschen zu werben, um – so niederschwellig, wie es nur geht – Menschen zu gewinnen oder Menschen in der Kirche zu halten.

Diese Aussagen Jesu widersprechen ganz und gar, durch und durch auch dem heutzutage so häufig zu hörenden Satz, dass die christlichen Werte doch hilfreich sein können. Und das ist dann auch schon alles, was viele Menschen mit Glauben, mit Kirche verbindet: hilfreiche Werte.

Hier im Predigttext geht es um viel mehr, um ganz Anderes.

Was zunächst auffällt, ist ja, dass bei den drei kurzen Episoden nicht erzählt wird, was die drei Männer am Ende taten, nachdem Jesus sie so in die Nachfolge gerufen hat. Auch wenn wir es allzu gern wüssten, wir erfahren nicht, wie sie sich letztlich entschieden haben.

Vieles spricht dafür, dass sie es sich anders überlegt haben. Wahrscheinlich waren sie so ernüchtert, dass sie nicht mitgingen.

Und wahrscheinlich entspricht genau dies der Absicht Jesu.

Er erwartet nämlich keinen blinden Gehorsam, keine Aufgabe der Eigenständigkeit im Denken und Handeln. Jesus will keinen blinden Glauben, sondern er öffnet Menschen die Augen. Er will sehende Nachfolger. Niemand soll unbedacht ihm nachfolgen. Vielmehr soll Nachfolge in Freiheit geschehen.

Die drei Antworten Jesu sind nicht absolute gesetzliche Forderungen. Sie sind nicht gesprochen worden, um nun für alle verbindlich gemacht zu werden. Sie sind nicht gesprochen worden, damit Sie, die diese Sätze heute hören, fortan ohne Ihr Zuhause leben sollen, fortan keine Beerdigung mehr besuchen sollen und sich fortan nicht mehr zurückwenden dürfen, um sich von ihrer Familie zu verabschieden.

(Nun gut: Begrüßung und Verabschiedung ohne Umarmung, ohne Küsse, ohne Händedruck ist in der Tat zur Zeit angesagt. Aber auch das ist hier nicht gemeint.)

Es geht schlicht darum, ganz deutlich zu machen: Die Nachfolge Jesu ist kein Larifari. Sie ist kein Nebenbei. Sie ist kein Zuckerguss, der uns das Leben versüßen will.

Was Jesus so scharf und eindringlich formuliert, will unserem innerweltlichen Um-Uns-Selbst-Kreisen die frohe, lebenschaffende Botschaft vom Reich Gottes gegenüberstellen. Jesu Rufe in seine Nachfolge sind Heraus-Rufe aus unserem täglichen Einerlei. Vielleicht können wir die Krise, die wir in der nächsten Zeit bewältigen müssen, als Heraus-Ruf nutzen, als Heraus-Ruf aus allem Gewohnten hin zu Konsequenz und Ernsthaftigkeit, als Heraus-Ruf aus unserer Geschäftigkeit ins Gebet, das uns mit Gott und mit den Menschen verbindet, für die wir beten, als Ruf, uns in den kommenden Tage der Passionszeit wirklich auf die Passion Jesu zu fokussieren.

Daß Christen in den Wochen vor Ostern mit dem Höhepunkt am Karfreitag dieses Mitleidens, dieser Passion gedenken, daß Christen nicht nur von einem Gott in Herrlichkeit, in einer fernen Unberührtheit vom Leiden sprechen, sondern von einem gekreuzigten Gott, dessen Kreuz mitten unter den Kreuzen dieser Welt steht, das ist schon etwas sehr besonderes, sehr tröstliches.

Schließen möchte ich mit einigen Sätzen aus einem Konfirmandenbuch von Jörg Zink. Mit ihnen ist zu dem schwierigen Predigttext alles gesagt:

„Du bist zur Freiheit bestimmt. Du kannst Dich von sehr vielem lösen, an das andere gebunden sind, von Dingen, von Ansehen, von Besitz. Sie machen Deinen Wert nicht aus. Mach dich unabhängig. Und geh deinen Weg unbeirrt geradeaus, wo immer dein Glaube dich hinführt. Und sieh nicht zurück. Laß, was hinter Dir liegt, hinter dir. Wichtig ist nur, dass Du die Stimme hörst, die dich ruft, und dass Du ihr nachgehst.“

Amen.

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