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Gottesdienst zum Holocaust Gedenktag

Predigt von Stefan Majer im Gottesdienst der Dreikönigsgemeinde zum Gedenken an die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus am 28. Januar 2018

Liebe Gemeinde,

der Predigttext für den heutigen Gottesdienst zum Holocaust-Gedenktag  steht  im Brief des Apostels Paulus an die Römer, im 8. Kapitel in den Versen 38 und 39:

Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben,
weder Engel noch Mächte noch Gewalten,
weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges,

weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur
uns scheiden kann von der Liebe Gottes,
die in Christus Jesus ist, unserm Herrn. Amen

Bei diesem Text handelt es sich um einen besonderen Text, ein Wort des Trostes und des festen Glaubens angesichts von Schrecken und Tod. Für viele Menschen, auch für mich, ist er einer der wichtigsten Texte der Bibel. Dietrich Bonhoeffer ließ  sich durch ihn zu seinem geistlichen Gedicht  „Von guten Mächten“ anregen, das wir als Lied oft in unseren Gottesdiensten singen.

Verfasst hat es Bonhoeffer bekanntermaßen im Dezember 1944 in der Gestapo-Haft, es ist  sein letzter erhaltener theologischer Text vor seiner Hinrichtung am 9. April 1945. Wir stehen also in der Tradition Bonhoeffers, wenn wir im heutigen Predigttext Trost und Glaubensstärkung suchen, um dem Holocaust zu gedenken, der damals wie heute eine tiefe Anfechtung des Glaubens an einen allmächtigen, einen gerechten und einen gnädigen Gott ist.

Im Herbst 1978 fuhr ich als Zwanzigjähriger mit einer großen Gruppe von angehenden Freiwilligen von Aktion Sühnezeichen / Friedensdienste nach Oświęcim in Polen. Wir besuchten die Gedenkstätte in dem Vernichtungslager Auschwitz und den ehemaligen Konzentrationslagern Birkenau und Monowitz, wir trafen Überlebende des Holocaust und halfen mit bei Erhaltungsmaßnahmen wie Rostschutzanstrichen an den erhalten gebliebenen Verbrennungsöfen oder bei der Gartenpflege in dem von feinem Knochenstaub bedeckten Gelände.

Als junger Christ, der einem aufgeschlossenen und engagierten Pietismus entstammte, war ich tief verunsichert und wusste nicht, wo ich an diesen Orten Gott suchen sollte. Die Geschichte einer Exekution, die der jüdische Schriftsteller Elie Wiesel in seinen Erinnerungen aus dem Konzentrationslager Auschwitz schildert, erschien mir als die einzig denkbar Antwort:

„Wo ist Gott?“ Und ich hörte eine Stimme in mir antworten: „Wo er ist? Dort - dort hängt er, am Galgen ...“

Aber es gab eine weitere Dimension meines Besuchs in Auschwitz: als schwuler Mann kurz nach dem Coming Out suchte ich nach dem Rosa Winkel und nach Informationen zum Schicksal der insgesamt 10-15.000 Männer, die unter der nationalsozialistischen Terrorherrschaft in Konzentrationslager gebracht wurden und von denen ungefähr 50% den entsetzlichen Lagerbedingungen, aber auch medizinischen Versuchen zum Opfer gefallen sind. Mir ging es da bei meinem Besuch ziemlich genau so, wie es Lutz van Dijk dieser Tage im Berliner „Tagesspiegel“ beschreibt:

 „Als ich im Juli 1989 als junger Lehrer das erste Mal die KZ-Gedenkstätte Auschwitz besuchte, erklärte der dortige Direktor auf Anfrage: „Nein, hier gibt es nichts über die Gefangenen, die wegen Paragraph 175 hierher kamen, weder in der Ausstellung noch im Archiv.“

Einer, der das damals mit hörte, war der 77-jährige Karl Gorath, der 1939 mit 26 Jahren wegen „homosexueller Vergehen“ verhaftet und verurteilt wurde, später ins KZ Neuengamme kam und von dort aus 1943 nach Auschwitz. Er hatte uns davon berichtet, wie es ihm gelungen war, den für homosexuelle Häftlinge vorgesehenen rosa Winkel von der Jacke abzureißen und mit dem roten der politischen Gefangenen zu vertauschen. „Das hat mir das Leben gerettet!“, hat er gesagt.

Immerhin erhielten wir, eine damals eher ungewöhnliche Reisegruppe aus rund 20 schwulen Männern, die Erlaubnis, unter Aufsicht im Archiv auf Spurensuche zu gehen. Und tatsächlich fanden wir nicht nur Karl Goraths Karteikarte mit Fotos, sondern auch die von 49 weiteren Gefangenen, die wegen des Paragrafen 175 hier waren. Wer waren sie? Der 23-jährige Angestellte Erwin Schimitzek zum Beispiel oder der 60-jährige Schuhmacher Alfred Fischer? Was bei allen 49 Karten auffiel: Obwohl Homosexuelle nicht ausdrücklich für die „Vernichtung“ im Gas vorgesehen waren, kamen die meisten schon nach kurzer Zeit im Lager um: der junge Erwin Schimitzek überlebte fünf Monate, Alfred Fischer nur 29 Tage.

Am letzten Morgen unseres Aufenthalts legten wir an der „Todesmauer“ neben Kränzen anderer Besucher unsere Blumen nieder, an die wir eine Schleife mit einer Aufschrift auf Deutsch und Polnisch gebunden haben: „Für unsere homosexuellen Brüder.“ Als wir kurz vor der Abreise dort noch einmal vorbeischauten, hatte jemand unsere Blumen mit der Schleife bereits in einen der nahen Müllcontainer geworfen.“

Liebe Gemeinde,

Sie haben sich in den vergangenen Jahren in das eingereiht, was der Deutsche Bundestag 1996 mit der Erklärung des „Tags der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee“ am 27. Januar 1945 zu einem „Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus in Deutschland“ auf den Weg gebracht hat. Sie haben seit 2010 immer genauer hingeschaut, wer diese verfolgten und ermordeten Menschen auch hier in dieser Gemeinde waren und was das mit uns heute zu tun hat. Die namentliche Erinnerung an die 26 getauften, jüdischen Gemeindemitglieder mit einer Ausstellung und mit Stolpersteinen ist eines der Ergebnisse dieses genauen Hinschauens.

Da lag aber dann die Frage nach weiteren Opfergruppen der Nationalsozialisten nahe, wie in diesem Jahr die Erinnerung an Homosexuelle, die nicht nur in der Gedenkstätte Auschwitz allzu gerne vergessen wurden. Aber daran musste sich gleich die nächste Frage anschließen: Warum wissen Sie in dieser Gemeinde - wie in vielen anderen - nichts über homosexuelle Gemeindemitglieder und ihre Geschichten von Verheimlichung, Verdrängung und Verfolgung? Bei den ehemaligen jüdischen Gemeindemitgliedern führten Ihre Fragen zu einer Auseinandersetzung mit den theologischen Wurzeln des Antisemitismus, bei den homosexuellen Gemeindemitgliedern aus den Zeiten des Nationalsozialismus müssen sie notwendigerweise zu den theologischen Wurzeln von Homophobie und Homosexuellenverfolgung führen. Aber sie führen auch zu einer ganz privaten Angst und Scham, die homosexuelle Christen damals, aber in manchen Fällen auch heute noch daran hindert, sich zu „outen“ und offen ihre Geschichten zu erzählen.

Mit der Geschichte des Homosexuellen und sogenannten „Halbjuden“ Wolfgang Lauinger, die heute exemplarisch verlesen wurde, haben wir ein Schicksal zu Gehör bekommen, das eine solche Leidensgeschichte erzählt. Zugegeben, diese Geschichte spielte nicht in der Dreikönigsgemeinde, ja sie spielte in weiten Teilen noch nicht einmal in der Kirche. Aber sie erinnert an einen der wenigen Zeitzeugen, der bis vor ein paar Wochen hier in Frankfurt mitten unter uns lebte und der uns noch viel über die Leidensgeschichte von Homosexuellen im Nationalsozialismus erzählen konnte, die mit Kriegsende so wenig zu Ende war, wie der Antisemitismus 1945 zu Ende war. Denn der Antisemitismus wie die zutiefst religiös verwurzelte Ablehnung der gleichgeschlechtlichen Liebe wurzelten tiefer als die militärische Befreiung, sie dauern an manchen Stellen leider bis heute fort, sie werden nur mit immer neuen Masken und Vorwänden versehen. Noch einmal zurück zu Wolfgang Lauinger: dass er im christlich-jüdischen Henry und Emma Budge-Heim in Seckbach, gemeinsam mit Trude Simonsohn, seine letzte Zeit verbringen und im vergangen Jahr seinen 99sten Geburtstag feiern durfte, war sicher ein Trost. Alles andere als ein Trost war für ihn allerdings, dass ihm die symbolische Wiedergutmachung bis zuletzt versagt blieb, ironischer Weise weil der Überlebenskünstler Wolfgang Lauinger es nicht nur geschafft hatte, der Schutzhaft der Nazis zu entkommen, sondern weil er auch in der restaurativen Adenauer-Ära „nur“ in lange Untersuchungshaft genommen, aber nicht abschließend verurteilt wurde, womit er entschädigungsberechtigt gewesen wäre.

„Erinnern heißt Handeln“ schreiben Sie, liebe Gemeinde, über Ihr Gedenkprojekt für die NS-Opfer. Und weiter: „Es verpflichtet, wach zu sein und sich für eine Gesellschaft einzusetzen, in der die Würde eines jeden Menschen geachtet wird.“ Wolfgang Lauinger hätte eine solche Haltung gut gefallen, da er selbst aktiv daran mitgewirkt hat, dass an jüdische UND homosexuelle Opfer der Nazis erinnert wird, dass Antisemitismus UND Homophobie bekämpft werden. Wahrscheinlich wäre er sogar gerne gemeinsam mit Elisabeth Abendroth in die Konfirmandengruppe gekommen, die den heutigen Gottesdienst mit vorbereitet hat, und hätte aus seinem Leben erzählt – was aber mit Sicherheit jeden Zeitrahmen gesprengt hätte, wie wir Wolfgang Lauinger kannten.

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,

ich möchte Euch ganz persönlich ansprechen: Wenn Ihr heute derartige Lebensgeschichten erzählt bekommt, wird der eine oder die andere vielleicht denken, das seien angesichts der Ehe für Alle doch „alte Geschichten“ aus einer längst vergangen und inzwischen überholten Zeit.

Aber das dachte Wolfgang Lauinger, der am Ende der liberalen und swingenden Weimarer Republik genau in Eurem Alter war, wahrscheinlich auch. Kurz darauf kamen jedoch die Nazis an die Macht, verschärften das Strafrecht drastisch und begannen erst mit der Registrierung, dann mit der Verfolgung und dann mit der Internierung. Aber auch heute noch sind Kirchenvertreter wie der katholische schweizerische Bischof Huonder unterwegs, der meint mit der Berufung auf eine Stelle aus dem 3. Buch Mose, wonach Beischlaf unter Männern mit dem Tod bestraft gehöre, sei schon genügend gesagt, «um der Frage der Homosexualität aus der Sicht des Glaubens die rechte Wende zu geben». Oder fundamentalistische Gruppierungen, die ausdrücklich die Heilung von Homosexualität propagieren und davor warnen, dass Deutschland sich durch die Aufnahme von Flüchtlingen und die Ehe für Alle selber abschaffe, veranstalten Tagungen wie letztes Wochenende ganz in unserer Nachbarschaft, in Kelsterbach. Wenn Ihr, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, Euch heute an die homosexuellen NS-Opfer erinnert, dann achtet bitte auch auf die Parallele, dass nicht erst die Homo-Heiler von heute, sondern schon die Nazis versucht haben Homosexuelle z.B. durch medizinische Versuche zu heilen, damit sie wieder zur Fortpflanzung der „Herrenrasse“ beitrügen. Und ein letzter Hinweis zum Thema „Erinnern heißt handeln“ sollte der Situation in zahlreichen Ländern, wie z.B. dem Iran, gelten, in denen Homosexualität bis heute unter Todesstrafe steht und aus denen Menschen zu uns flüchten.

Liebe Gemeinde,

ich habe über theologische Wurzeln von Homophobie und Homosexuellenverfolgung gesprochen. Ich habe jedoch in den vergangenen Jahren hier in unserer Frankfurter Evangelischen Kirche die gute Erfahrung gemacht, dass Viele sich diese Aufarbeitung genauso ernsthaft zu Herzen und zu Eigen gemacht haben, wie die Aufarbeitung des christlich-jüdischen Verhältnisses. Ich weiß, dass ich nach teils offener Diskriminierung,  teils repressiver Toleranz und nach einem Quasi-Berufsverbot als Theologe in meiner alten Landeskirche nicht wieder den Weg in die Mitte der Kirche zurückgefunden hätte, wenn nicht endlich Schluss gewesen wäre mit den erniedrigenden Parolen wie „den Sünder lieben, aber die Sünde hassen“ oder mit dem kirchlichen Katzentisch für Lesben und Schwule, die um den Segen ihrer Kirche für ihre Beziehungen bitten. Inzwischen muss ich mich nicht mehr nur seelsorgerlich motiviert tolerieren lassen von meiner Kirche, sondern weiß mich theologisch begründet akzeptiert bis hin zur Möglichkeit einer gleichberechtigten Eheschließung. Die Debatten der vergangenen Jahre um das protestantische Verständnis von Ehe und Familie haben zumindest hier in Frankfurt und in Hessen tatsächlich zu einer Aufarbeitung der theologischen  Wurzeln von Homophobie und Homosexuellenverfolgung beigetragen und damit Versöhnung möglich gemacht.

Also können wir heute aus tiefem Herzen, mit klarem Blick und ohne theologische Bigotterie der homosexuellen Opfer der Nazis gedenken.

Ich möchte meine Predigt schließen, indem ich ein letztes Mal die Worte des Apostels Paulus verlese:

Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn. Amen

 

 

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