Loben
Sommerkirche der Dreikönigsgemeinde
Psalmen - Wege zum Glauben
Predigt zu Psalm 92- gehalten von Pfarrerin Silke Alves-Christe am 05.08.2018 in der Bergkirche.
Gleich am Anfang jedes Gottesdienstes wird die Verbindung der christlichen Kirche zum jüdischen Volk deutlich, indem wir einen Psalm beten, ein Gebet/ein Lied aus dem Gesangbuch des Volkes Israel.
Mit den Psalmen sagen wir ausdrücklich Ja zur jüdischen Ursprungsgeschichte unseres christlichen Glaubens.
In den Jahrtausende alten Psalmen, die schon im Jerusalemer Tempel gebetet wurden, finden auch wir heute Worte, die uns Mut machen zu einem Leben mit Gott.
Psalm 92 (EG 737):
Das ist ein köstlich Ding, dem Herrn danken
und lobsingen deinem Namen, du Höchster,
des Morgens deine Gnade
und des Nachts deine Wahrheit verkündigen.
Denn, Herr, du lässest mich fröhlich singen
von deinen Werken,
und ich rühme die Taten deiner Hände.
Herr, wie sind deine Werke so groß!
Deine Gedanken sind sehr tief.
Ein Törichter glaubt das nicht,
und ein Narr begreift es nicht.
Die Gottlosen grünen wie das Gras,
und die Übeltäter blühen alle - nur um vertilgt zu werden für immer!
Aber du, Herr, bist der Höchste
und bleibest ewiglich.
Der Gerechte wird grünen wie ein Palmbaum,
er wird wachsen wie eine Zeder auf dem Libanon.
Die gepflanzt sind im Hause des Herrn,
werden in den Vorhöfen unsres Gottes grünen.
Und wenn sie auch alt werden,
werden sie dennoch blühen, fruchtbar und frisch sein,
dass sie verkündigen, wie der Herr es recht macht;
er ist mein Fels, und kein Unrecht ist an ihm.
Liebe Gemeinde!
Die originelle Formulierung Martin Luthers gleich am Anfang des Psalms liebe ich sehr:
„Das ist ein köstlich Ding!“
Im hebräischen Urtext des Psalms steht da einfach nur ein Wort: Tow. Das heißt wörtlich übersetzt: gut: Gut ist es, dem Herrn zu danken.
Na ja, falsch ist das nicht, aber wie anders klingt da Luthers Übersetzung:
Das ist ein köstlich Ding, dem HERRN danken.
Öfter gebraucht Luther diese Wendung sowohl im Alten wie auch im Neuen Testament. Ich konnte leider nicht herausfinden, ob er der Sprachschöpfer von „ein köstlich Ding“ ist, aber zuzutrauen wäre es ihm ja allemal.
Ein köstlich Ding, köstlich – so nennen wir eine vorzüglich gelungene Speise, köstlich nennen wir auch den Mutterwitz kleiner Kinder. Aber wer von uns wäre auf die Idee gekommen, das Gotteslob als köstlich zu bezeichnen oder das Dankgebet?
Liegt uns die Bitte nicht viel näher, die wir mit unseren Anliegen an Gott richten? Auch die Fürbitte für die Menschen, die uns nahestehen? Das Loben unseres Gottes überlassen wir gern der Kantorei oder der Orgel. Ob das Loben Gottes und der Dank an ihn uns ein Herzensanliegen ist, des Morgens und des Nachts – da bin ich nicht so sicher.
Ich habe sogar manchmal den Eindruck, dass gerade die Menschen, denen es am besten geht, am schlechtesten Gott loben können.
Paul Gerhardt hat im grausamen, fürchterlichen 30-jährigen Krieg die wundervollsten Loblieder gedichtet. Und Christen heute in der sogenannten „Dritten“ Welt, in Afrika oder Lateinamerika, singen so beschwingte mitreißende Loblieder, wie wir sie selten oder gar nicht über die Lippen bringen.
Das ist schon seltsam, dass Christinnen und Christen, denen das Nötigste zum Leben fehlt, Gott offenbar viel beeindruckender, viel intensiver loben können als manche Christen hierzulande, die in Gedanken damit beschäftigt sind, wie sie ihr überschüssiges Geld am gewinnbringendsten anlegen.
Viel öfter als überschäumendes Gotteslob und tief empfundenes Dankgebet höre ich in unserer Gemeinde – als Entschuldigung für den fehlenden Glauben angesichts all der schlechten Nachrichten – die Frage: „Wie kann Gott das zulassen?“ Mir scheint, diese Frage wird in erbärmlichen Slums viel seltener gestellt als in luxuriösen Villen. Ist es im Luxus, im Überfluß schwerer, von sich selbst abzusehen? Eigentlich noch nie habe ich die Frage gehört, die ich in Sachsenhausen viel naheliegender finde: „Wie kann Gott das zulassen, dass es mir so viel besser geht als den meisten Menschen auf dieser Erde?“
Wenn ich zurückdenke, wann ich in den letzten Monaten einem besonders dankbaren Menschen begegnet bin, dann fällt mir der Besuch bei einer über 90-jährigen Witwe ein, die es gerade so schafft, von den 321,- € auszukommen, die ihr nach Abzug der Miete zum Leben, also zum Essen und Trinken monatlich bleiben, aber die soviel Zufriedenheit, ja Freude und Dankbarkeit ausstrahlt, dass ich bereichert und beglückt ihre kleine Wohnung verließ.
Es ist ein großes Geschenk, dankbaren Menschen zu begegnen.
Eine große Freude ist für mich auch immer, auf Menschen zu treffen, die ein Loblied auf andere Menschen singen, die ihre Freude daran haben, ihre Mitmenschen zu loben und wertzuschätzen. Ja, eine große Wohltat ist es, mit Menschen zu sprechen, die nicht nur um sich selbst kreisen, sondern die auf andere Menschen schauen und an ihnen das Positive, Wertvolle erkennen und auch aussprechen können.
Das köstliche, das „köstlich Ding“ am Loben und Danken ist offenbar, nicht immer als erstes sich selbst zu sehen, sondern in Beziehung zu leben, sowohl in Beziehung zu anderen Menschen wie auch in Beziehung zu Gott.
Die Psalmen stellen unser Leben in die Beziehung zu Gott. Wir stehen nicht mehr allein da – weder mit unserem Unglück noch mit unserem Glück. Wir sind nicht auf uns allein ausgerichtet, sondern unser Leben hat eine Richtung auf Gott, unseren Schöpfer hin.
Im Alten Testament ist Theologie dialogisch. Das Reden von Gott und das Reden zu Gott gehören zusammen.
Im Glauben leben nennt man darum Leben „in Antwort“.
Sowohl im christlichen wie auch im jüdischen Glauben gibt es Menschen, die sich von ihrem Glauben entfernt haben, die alles, was ihnen über den Glauben vermittelt wurde, in Frage gestellt haben, und dann doch wieder einen Weg zurückfinden.
Wir würden sagen, jemand hat wieder zum Glauben gefunden. In Israel haben diese Menschen, von denen es ziemlich viele gibt, eine besondere, für meine Ohren zunächst ungewöhnliche Bezeichnung. Die Menschen, die sich vom Judentum abgewendet hatten, und dann doch wieder zurückfinden zur jüdischen Frömmigkeit mit koscherem Essen, mit dem Feiern des Sabbats und der Feste, aber vor allem mit dem regelmäßigen täglichen Gebet, nennt man „Rückkehrer zur Antwort“. Das ist auch eine Selbstbezeichnung: Jemand sagt: Ich bin zurückgekehrt zur Antwort.
Diesen Sprachgebrauch, diese Bezeichnung fand ich lange seltsam, aber im Grunde steckt darin eine interessante Aussage: Jemand kehrt aus der Frage zurück in die Antwort, aus der Haltung der Frage zurück in die Lebenshaltung der Antwort. Und wer sein ganzes Leben als Antwort an den versteht, der uns das Leben geschenkt hat, dessen Leben ist – automatisch – durchzogen von Lob und Dank:
Das ist ein köstlich Ding, dem Herrn danken
und lobsingen deinem Namen, du Höchster,
des Morgens deine Gnade
und des Nachts deine Wahrheit verkündigen.
Denn, Herr, du lässest mich fröhlich singen von deinen Werken,
und ich rühme die Taten deiner Hände.
Herr, wie sind deine Werke so groß!
Deine Gedanken sind sehr tief.
Das Aufwachen am Morgen ist dann wie eine Begrüßung des Schöpfers: Christian Fürchtegott Gellert hat es im 18. Jahrhundert so formuliert:
Mein erst Gefühl sei Preis und Dank, erheb ihn, meine Seele!
Der Herr hört deinen Lobgesang, lobsing ihm, meine Seele!
Echte, lebendige Freude will sich mitteilen, will, dass andere sich mitfreuen.
Für Lob und Dank ist es bezeichnend, dass es spontan geschieht. Der Impuls, Gott zu loben kommt nicht aus einem Denken oder Wissen, nicht aus einer Tradition oder einem Auftrag, er kommt aus dem Herzen dessen, der in Antwort lebt, der sich ganz in Beziehung zu Gott sieht.
Und noch etwas: Loben ist zweckfrei. Dieser spontane Impuls, Lob und Dank zu sagen, hat nicht Berechnendes, verfolgt keinen Zweck. Sie glauben gar nicht, wie gesund, ja, wie heilsam zweckfreies Tun ist! Über die heilende Kraft vom Singen und Musizieren ist ja schon viel gesagt und geschrieben worden.
Hans Walter Wolff, ein bedeutender Alttestamentler in Heidelberg, hat ein Buch geschrieben mit dem Titel: „Anthropologie des Alten Testaments“. In dieser alttestamentlichen Lehre vom Menschen hat sein letztes Kapitel, auf das alles zielt, die Überschrift: „Die Bestimmung des Menschen zum Loben Gottes“.
Sein Buch endet mit den Sätzen:
„Die Bestimmung aller Menschen, die so tief verschieden und so oft geschieden sind, zum Zusammenschluß in der Liebe erfüllt sich in der Vereinigung zum Lobe Gottes.
Im Lob Gottes findet die Bestimmung des Menschen zum Leben in der Welt, zum Lieben des Mitmenschen und zum Beherrschen der außermenschlichen Schöpfung ihre wahrhaft menschliche Erfüllung.
Sonst wird der Mensch als sein eigener Abgott zum Tyrannen, oder er verliert im Verstummen zur Sprachlosigkeit seine Freiheit.“
Ja, das sieht Hans Walter Wolff gewiß richtig:
Wenn wir zu einem Leben in Antwort finden, zu einem Leben, das auf Gott ausgerichtet ist und vom Lob Gottes durchzogen ist, werden wir befreit von zwei Fehlentwicklungen: von den Gefahren der Selbstüberschätzung und von den Gefahren der Depression.
Ich wünsche uns von Herzen, dass wir das selbstlose, zweckfreie, heilsame Lob Gottes neu entdecken und ihm in unserem Leben Raum geben. Amen.
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