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Predigt zu Worms – Glauben und Bekennen

Predigt gehalten von Pfarrer Jürgen Seidl am Sonntag, dem 09.07.2017 in der Predigtreihe „Orte der Reformation“ in der Berg­kirche in Frankfurt am Main.

 

Worms, liebe Gemeinde, der 17. April 1521. Um kurz nach 16.00 Uhr sehen sie sich das erste Mal. Der Kaiser und der Ketzer. Karl V ist 21 Jahre alt. Jung für den mächtigsten Mann Europas, in dessen Reich die Sonne nicht untergeht. Er ist spanischer König und seit einem Jahr auch deutscher Kaiser. Ein Habsburger und treuer Anhänger der römisch-katholischen Kirche.

Der Kaiser hätte diese Begegnung nicht gebraucht. Der Papst hatte Martin Luther als Ketzer verurteilt und ihn aus der Gemeinschaft der Kirche ausgeschlossen. Karl V hätte Luther daraufhin gerne sofort geächtet und für rechtlos erklärt. Doch ein Teil der deutschen Fürsten bestand darauf, Luther vor den Reichstag nach Worms zu laden. Karl V brauchte die Unterstützung der Fürsten für seine Politik. Also gab er nach und sicherte Luther freies Geleit zu.

Nun steht Luther vor ihm. Karl V spricht nicht mit ihm. Unmöglich kann der Kaiser selbst das Wort an einen Ketzer richten. Johannes von Ecken, der Sprecher des Kaisers, stellt die Fragen. Es sind nur zwei. Sind diese Bücher da von Dir? Und: Bist Du bereit den Inhalt zu widerrufen?

Luther ist überrascht. Er hatte sich auf eine theologische Diskussion eingestellt. Er dachte, er könne nun seine Position vor unvoreingenommenen Gelehrten mit Argumenten vertreten und seine theologischen Einsichten biblisch begründen. Doch daraus wird nichts. Man ist nicht bereit, mit einem von der Kirche verurteilten Ketzer seine Irrlehren zu diskutieren. Rom hat entschieden. Die Sache ist erledigt. Luther soll die beiden Fragen beantworten und damit hat es sich.

Ja, die Bücher seien von ihm, sagt Luther. Er spricht leise und macht einen unsicheren Eindruck. Viele haben Mühe, ihn zu verstehen. Ob er widerrufen wolle? Luther bittet um Bedenkzeit. Johannes von Ecken reagiert ungehalten. Zeit habe er lange genug gehabt. Er hätte sich doch denken können, warum er hier sei. Doch der Kaiser in seiner großen Gnade gewähre ihm 24 Stunden.

Einen Tag später steht Luther wieder vor dem Kaiser und den Fürsten. In einem größeren Raum. Es ist noch voller als am Tag zuvor. Jetzt tritt Luther entschiedener und souveräner auf. Er hält zunächst eine längere, klug abwägende Rede. Er macht Unterschiede zwischen seinen Schriften, erkennt Übersteigerungen der Polemik an, erklärt aber, in der Sache nichts nachlassen zu können. Er habe als Doktor der Theologie eine Verantwortung für die Christenheit. Er könne nicht zulassen, dass das Volk durch die Lehren des Papstes weiter verführt werde. Daher könne er nicht widerrufen. Allerdings würde er als erster seine Schriften ins Feuer werfen, wenn er des Irrtums überführt würde.

Johannes von Ecken, der Sprecher des Kaisers ist unzufrieden. Ihm ist das alles zu weitschweifig und spitzfindig, was Luther da vorträgt. Er verlangt eine knappe und klare Antwort. Will Luther nun widerrufen oder nicht?

Nun spricht Luther ein zweites Mal. Diesmal lässt er alle diplomatische Klugheit beiseite und fasst sich kurz. „Wenn ich nicht mit Zeugnissen der Schrift oder mit offenbaren Vernunftgründen besiegt werde“, sagt Luther, „so bleibe ich von den Schriftstellen besiegt, die ich angeführt habe, und mein Gewissen bleibt gefangen in Gottes Wort. Denn ich glaube weder dem Papst noch den Konzilien allein, weil es offenkundig ist, dass sie öfters geirrt und sich selbst widersprochen haben. Widerrufen kann und will ich nichts, weil es unsicher ist und gefährlich, etwas gegen sein Gewissen zu tun. Gott helfe mir. Amen“.

Karl V hat das nicht sofort verstanden. Der deutsche Kaiser spricht kein Deutsch. Er ist in den von Spanien beherrschten Niederlanden aufgewachsen. Seine Muttersprache ist Französisch. Er beherrscht außerdem etwas Latein und flämisch. Er konnte den Verhandlungen nur mit Hilfe eines Dolmetschers folgen. Der erklärt ihm, Luther wolle nichts widerrufen, eher er nicht durch die Bibel oder vernünftige Argumente wiederlegt werde. Er berufe sich auf sein Gewissen.

Als Karl V versteht, was Luther gesagt hat, macht er der Verhandlung ein Ende. Er hat genug gehört. Für ihn ist klar: wenn sich ein einzelner Mönch mit seiner Meinung gegen die ganze Christenheit stellt, dann irrt er. Der Kaiser beruft sich gegen die Anmaßung des Ketzers auf die Institution der Kirche und ihre Tradition. Wie seine Vorfahren versteht er sich als Schirmherr der Christenheit.

Die nachfolgenden Vermittlungsversuche scheitern. Am 26. April verlässt Luther Worms. Die kaiserlichen Räte verhandeln mit den Reichsständen über das weitere Vorgehen. Am 8. Mai verhängt Karl V die Reichsacht über Luther. Luther wird damit rechtlos. Es ist verboten, ihn zu beherbergen und zu bewirten. Jeder, der seiner habhaft werden kann, ist verpflichtet, ihn auszuliefern. Seine Schriften werden verboten und verbrannt.

Luther in Worms – hier wurde ein Mythos geboren, der bis heute nachwirkt. Nie wieder stand Luther auf einer solchen geschichtlich und politisch bedeutsamen Bühne. Es ist der große Auftritt des Protestantismus. Eine Schlüsselszene in der Geschichte Deutschlands und der europäischen Christenheit. In der Erinnerungskultur verdichtet sie sich zum Symbol unerschütterlicher Bekenntnis- und Glaubenstreue. Ein Mensch auf sich allein gestellt, der dem Kaiser und der Kirche trotzt, der allein Gott und seinem Gewissen folgt. So sieht man Luther auf vielen Denkmälern. Aufrecht stehend, mit entschlossenem Blick, die Bibel in der Hand.

Was ist davon zu halten? Luther beruft sich vor allem auf die Bibel. Nur aus ihr will er sich widerlegen lassen. Sein Gewissen sei gefangen in Gottes Wort. Für ihn zählt allein die Heilige Schrift. Doch ist das so einfach?

Nicht überall in der Bibel ist das Wort Gottes in gleicher Klarheit zu finden. Auch Luther macht Unterschiede zwischen den biblischen Schriften. Den Hebräerbrief hat er abgelehnt, weil er die Möglichkeit einer zweiten Buße verneint. Wer einmal vom christlichen Glauben abfällt, heißt das, für den gibt es kein Zurück mehr. Die Offenbarung des Johannes mit ihrer apokalyptischen Bildersprache war Luther zu unverständlich. Und mit dem Jakobusbrief hat er gedroht, den Ofen zu heizen, weil der seiner Meinung nach die zentrale Botschaft der Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnade verdunkelt durch eine unangemessene Betonung der guten Werke.

Die moderne Bibelforschung weiß, dass es verschiedene theologische Konzepte in der Bibel gibt, auch innerhalb des Neuen Testamentes. Diese verschiedenen Ansätze ergänzen sich nicht nur, sondern widersprechen sich auch bisweilen. Wir unterscheiden daher heute in der historisch-kritischen Interpretation der Bibel zwischen Auslegung und Anwendung. Die eine Frage ist, was die Texte damals zu ihrer Entstehungszeit beabsichtigten und bedeuteten. Die andere Frage ist, was die Texte uns heute zu sagen haben, ob sie auch für die Gegenwart relevant sein können.

Es ist also nicht damit getan, einfach einen Bibelvers zu zitieren. Fundamentalisten mögen das für ausreichend halten. Doch ein verantwortlicher Umgang mit der Bibel ist mühsamer und differenzierter. Wer die Bibel verantwortlich und mit wachem Verstand liest, der klebt nicht am Buchstaben, sondern fragt nach dem Wort Gottes, von dem wir heute leben können – und das in den menschlichen Worten verborgen ist.

Luther hat in seiner Antwort vor dem Reichstag in Worms auch vernünftige Gründe angemahnt. Der christliche Glaube ist frei, sich Vernunftgründen argumentativ zu stellen. Vernunft ist die Fähigkeit alles zu prüfen, auch die Bibel. Mit der Vernunft können wir den eigentlichen Sinn der Bibel aufspüren. Glaube ohne Vernunft neigt dagegen zum Fanatismus.

Und wenn Luther in Worms sagt, dass sein Gewissen in Gottes Wort gefangen sei, beruft er sich auf seine Erfahrung. Luther hat in seiner reformatorischen Entdeckung die befreiende Kraft des Evangeliums erfahren. Und damit einen bestimmten Blick auf die Bibel gewonnen. Für Martin Luther ist Jesus Christus die Mitte der Bibel. Der Mensch wird durch den Glauben an Jesus Christus von Gott angenommen. Von diesem Zentrum her versteht und gewichtet Luther die einzelnen Aussagen der Bibel. Entscheidend ist für Luther, welche Sätze Jesus Christus als Herrn und Erlöser verkündigen. Die Autorität der Bibel ist von der Autorität Jesu Christi abgeleitet, denn Jesus Christus ist das menschgewordene Wort Gottes.

Das Einleuchten der Wahrheit in der persönlichen Erfahrung kann nichts ersetzen. Das gilt nicht nur für Luther, sondern auch für uns. Nichts gilt, weil es immer schon gegolten hat. Nur die eigene Erfahrung gibt Gewissheit. Und dieser Gewissheit sind wir in unserem Gewissen verpflichtet. Luther sah sich in Worms seiner Erfahrung mit dem Wort Gottes verpflichtet, die ihm persönlich die Wahrheit des Glaubens an Jesus Christus neu erschlossen hatte. Diese Wahrheit des Glaubens hat er vor Kaiser und Reich bekannt und bezeugt.

Luther hat dabei seine menschliche Irrtumsfähigkeit grundsätzlich eingeräumt. Wenn man ihn anhand der Bibel theologischer Irrtümer überführt hätte, hätte er widerrufen. Doch daran hatte man kein Interesse. Karl V vertraute nicht auf die Macht der Argumente, sondern auf das Argument der Macht. Zeitlebens hat er die Reformation bekämpft.

Doch es gelang ihm nicht, das Rad der Zeit zurück zu drehen. Im Augsburger Religionsfrieden von 1555 wurden die Lutheraner reichsrechtlich anerkannt. Karl V dankte ab und ging in ein spanisches Kloster, wo er drei Jahre später starb.

Luther war da schon über neun Jahre tot. Doch die von ihm angestoßene Bewegung zur Erneuerung der Kirche hatte sich längst über Europa verbreitet und eine Welle begeisterter Zustimmung ausgelöst.

Als evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde stehen wir in dieser Tradition. Daher haben wir immer neu zu fragen, welche biblische Einsichten in der Gegenwart geglaubt und bekannt werden sollen, damit heute die Wahrheit des Evangeliums von Jesus Christus verkündigt wird. Dabei gilt es, die Bibel aufmerksam zu lesen und die eigene persönliche Glaubenserfahrung zu berücksichtigen. Dazu helfe uns Gott. Amen.

 

 

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