Predigt zu Münster – Taufe und Terror
Gehalten am 9. Sonntag nach Trinitatis, dem 13.08.2017 in der Predigtreihe „Orte der Reformation“ in der Dreikönigskirche in Frankfurt am Main.
Es fing harmlos an, liebe Gemeinde. Seit dem Jahr 1529 wurde in Münster im Sinne Martin Luthers gepredigt. Bereits im Spätsommer 1532 waren alle sechs Pfarrkirchen Münsters mit evangelischen Predigern besetzt. Nur der Dom blieb katholisch. Im Rat der Stadt saßen mehrheitlich Lutheraner.
Doch ab dem Sommer 1533 radikalisiert sich die Reformation in Münster. Die Stadt gerät zunehmend unter den Einfluss der sogenannten Täufer aus den Niederlanden. Die Täufer lehnen die Kindertaufe als ungültig und nicht biblisch ab. Sie taufen nur Erwachsene, die sich zum christlichen Glauben bekennen. Darauf steht in Deutschland seit dem Reichstag zu Speyer von 1529 die Todesstrafe. Das hatten die protestantischen und katholischen Fürsten in großer Einhelligkeit beschlossen. Sie bezeichneten die Täufer als Wiedertäufer, denn in ihren Augen, tauften diese Menschen, die als Säuglinge bereits getauft worden waren, ein zweites Mal.
Bei der jährlichen Ratswahl im Februar 1534 übernehmen die Täufer die Herrschaft über die Stadt. Alle Bewohner, die nicht die Erwachsenentaufe empfangen wollen, werden ausgewiesen. Die Täufer drängen auf eine radikale Nachfolge Christi. Sie wollen leben wie Jesus gelebt hat. Die Utopie eines Gottesreiches auf Erden steht ihnen vor Augen. Privateigentum wird verboten. Wie in der Jerusalemer Urgemeinde soll alles allen gemeinsam gehören. Die Geldwirtschaft wird abgeschafft. Arbeit muss im Dienst der Gemeinschaft unentgeltlich verrichtet werden. Gold- und Silberschmuck ist abzugeben. Die Haustüren müssen unverschlossen bleiben.
Der katholische Fürstbischof Franz von Waldeck beginnt im Februar 1534 mit der Belagerung Münsters. Er will die Herrschaft über die Stadt zurückerobern und die Ketzerei beenden. Auch einige evangelische Fürsten unterstützen ihn dabei. Martin Luther befürwortet das. Er sieht in Münster den Teufel am Werk.
In den Augen der Täufer ist Münster jedoch die reine Stadt Gottes, der Sammlungsort der Auserwählten, das neue Jerusalem. Hier würden die Gläubigen am unmittelbar bevorstehenden Tag des Jüngsten Gerichts Rettung finden.
Für Ostern 1534 hatte der aus Holland nach Münster gekommene Täuferprophet Jan Matthys die Wiederkunft Christi angekündigt. Als nichts geschieht reitet er am Ostermontag mit einigen Begleitern den bischöflichen Truppen entgegen und wird dabei getötet. Der Grund für diese Aktion ist nicht ganz klar. Wollte Jan Matthys Gott zum Eingreifen bewegen und ein Wunder erzwingen? Wollte er im religiösen Wahn den Heiland vor den Toren der Stadt empfangen? Oder wollte er bewusst den Märtyrertod sterben?
Nun schlägt die Stunde des Schankwirts Jan van Leiden, der ebenfalls aus den Niederlanden stammt. Er zeigt ein gewisses kriegerisches Talent. Zwei Generalangriffe der bischöflichen Truppen schlägt er blutig zurück. Im Sommer 1534 lässt er sich in Münster zu „König Johann dem Gerechten vom Stuhle Davids“ krönen.
Daraufhin errichtet Jan van Leiden in Münster ein theokratisches Terror-Regime. So etwas wie der sogenannte Islamische Staat auf protestantisch. Eine Herrschaft voller Idealismus und Grausamkeit. Kirchen und Klöster werden verwüstet, Bücher und Gemälde verbrannt, Altäre zertrümmert und für eine Vielzahl von Vergehen wird die Todesstrafe verhängt.
Unter Berufung auf das Alte Testament führt Jan van Leiden die Vielehe ein. Allerdings nur für Männer. In Münster gibt es zu diesem Zeitpunkt zwei- bis dreimal so viele Frauen wie Männer. Die Vielehe dient auch ihrer sozialen Kontrolle und der Stabilisierung der Ordnung in der belagerten Stadt. Alle Frauen ab dem zwölften Lebensjahr werden gezwungen zu heiraten. Jan van Leiden selbst nimmt sich sechzehn Ehefrauen. Eine davon enthauptet er eigenhändig auf dem Marktplatz – wegen Ungehorsam.
Die Belagerung Münsters hat im April 1535 eine schwere Hungersnot zur Folge. Brutale Straßenkämpfe und Diebstähle führen zu chaotischen Zuständen in der Stadt. Die Lage wird immer verzweifelter. Eine Täuferfrau namens Hille Feicken fühlt sich von Gott berufen, ins feindliche Lager zu gehen, um den Fürstbischof zu ermorden. Sie eifert dem Beispiel Judiths nach, die einst mit Gottes Hilfe den gegnerischen Feldherrn Holofernes enthauptete, um das Volk Israel vor den Assyrern zu retten. Doch ihr Versuch scheitert kläglich.
Am 24. Juni 1535 ist der Spuk vorbei. Fürstbischof Franz von Waldeck erobert die Stadt zurück. Das Ende des Täuferreichs von Münster wird durch Verrat besiegelt. Zwei Bürger laufen heimlich ins Lager des Bischofs über und zeigen den Belagerern eine Schwachstelle in der Stadtmauer. In der Nacht dringt das bischöfliche Heer in die Stadt ein und richtet ein Blutbad an. Mehr als sechshundert Menschen werden erschlagen. Die Anführer der Täufer werden einige Monate lang verhört und dann auf dem Marktplatz zu Tode gefoltert. Ihre Leichen stellt man zur Abschreckung am Turm der Lambertikirche in eisernen Käfigen zur Schau.
Das Täuferreich in Münster ist nur ein Beispiel für die Folgen ideologisch bestimmter Gewaltanwendung. In Zeiten des islamistischen Terrors sind wir neu dafür sensibilisiert worden.
Der Radikalismus der münsterischen Täufer ist vom übrigen Täufertum als Warnung empfunden worden. Münster ist freilich ein extremer Ausnahmefall. Die meisten täuferischen Gemeinden wie die Mennoniten waren von Anfang an pazifistisch und sind es bis heute. In Europa blutig verfolgt wanderten viele Täufer nach Nordamerika aus, wo sie eine neue Heimat fanden und ihren Glauben leben konnten - so wie die Hutterer oder die Amischen.
Hinsichtlich ihrer Auffassung von der Taufe scheint mir ein Punkt bedenkenswert.Taufe und Glaube gehören im Neuen Testament in der Tat eng zusammen. Darauf verweisen täuferische Gruppierungen zu Recht. Was bedeutet die Taufe, wenn man diesen Zusammenhang stärker beachtet? Wird die Kindertaufe dann fragwürdig?
Durch die Taufe werden Menschen mit dem Tod und der Auferstehung Jesu Christi verbunden. Früher wurden die Menschen bei der Taufe ganz unter Wasser getaucht. Das war ein Symbol für das Ertränken des alten Menschen, für den Tod des alten Lebens unter der Herrschaft der Sünde. Das merkt man der Taufhandlung heute nicht mehr an. Menschen werden nur noch mit Wasser beträufelt. Das ist eine freundliche Minimalform der Taufe, die man fast schon als Fürsorge deuten kann.
Doch eigentlich symbolisiert die Taufe einen Untergang, aus dem man verwandelt und erneuert herauskommt. Wer aus dem Taufwasser auftaucht, der ist ein neuer Mensch. So wie Jesus Christus an Ostern aus dem Grab auferstanden ist, so wird ein Mensch aus der Taufe gehoben. Er hat Anteil an der Auferstehung Jesu Christi. Er ist durch den Tod ins Leben gegangen. Das Leben beginnt gewissermaßen noch einmal neu. Es ist fortan ein Leben unter der Herrschaft Gottes.
Im Blick auf die Taufe kleiner Kinder stellen sich da natürlich einige Fragen. Ihre Geburt ist ja noch nicht so lange her. Ihr Leben hat gerade erst begonnen. Und nun soll ihr altes Leben schon vorbei sein? Sie sollen neu geboren werden? Wozu ist das nötig?
Und unschuldig sind die Kinder auch. Sie haben ja noch nichts Böses getan. Sie sind nicht verantwortlich. Sie müssen ja erst noch lernen, was gut und böse ist. Was für einen Sinn macht es da von der Herrschaft der Sünde zu reden? Und vom Sterben des alten Menschen?
Nun taufen wir nicht einfach ein Kind. Wir taufen einen Menschen. Wir taufen sein ganzes Leben. Die Taufe ist einmalig. Sie kann nicht wiederholt werden. Sie kann auch nicht rückgängig gemacht werden. Sie gilt für Zeit und Ewigkeit.
Wir müssen also weiter denken. Über den Anfang hinaus. Die Taufe ist nicht einfach ein Schutz- und Segensritual für Säuglinge und Kleinkinder. Die Taufe zielt auf das ganze Leben.
Aus Kindern werden Leute. Und wenn die Kinder erwachsen sind, sind sie selbst verantwortlich für ihr Leben. Dann müssen sie entscheiden, welcher Weg für sie der richtige ist und wie sie ihr Leben führen wollen. Mit oder ohne Gott?
Mit der Taufe ist den Kindern der Weg gewiesen. Sie sollen ihr Leben einmal im Vertrauen auf Gott führen. Und in Verantwortung vor Gott. Sie sollen sich dabei am Wort Gottes orientieren. Sie sollen mit Gott reden und auf ihn hören. Und sie sollen dabei die Liebe Gottes erfahren. Diese Liebe soll zur Mitte ihres Lebens werden.
Das alles geschieht nicht von selbst. Die Taufe wirkt nicht automatisch. Sie ist kein Zauber, der ohne unser Zutun funktioniert. Die Taufe muss im Glauben angeeignet werden.
Die persönliche Aneignung der Taufe im Glauben ist ein lebenslanger Prozess. Sie geschieht jeden Tag neu. Die Bedeutung der Taufe besteht Martin Luther zufolge darin, „dass der alte Adam in uns durch tägliche Reue und Buße soll ersäuft werden und sterben mit allen Sünden und bösen Lüsten, und wiederum täglich herauskommen und auferstehen ein neuer Mensch, der in Gerechtigkeit und Reinigkeit für Gott ewiglich lebe“.
Gerechtigkeit und Reinigkeit ist nicht so zu verstehen, dass wir eine reine Gemeinde vollkommener Christen werden könnten, die heiliger und gerechter lebt als andere. Dieser Dualismus gehört zu den Irrwegen des Täuferreichs von Münster; freilich nicht nur von Münster.
Natürlich sollen wir versuchen, nach dem Willen Gottes zu leben. Die Taufe ermutigt zu einem christlichen Leben im Kraftfeld des Geistes Gottes. Doch wir werden dabei auch immer wieder scheitern. Wir bleiben als Christen ein Leben lang von Gott gerechtfertigte Sünder. Die Vollendung geschieht nicht in dieser Welt.
Deswegen betont Luther die „tägliche Reue und Buße“. Die Abkehr vom Bösen und die Hinwendung zum Guten ist immer wieder neu im Glauben zu vollziehen. Aus dieser Situation des Anfangs kommt man nicht heraus. Zum Leben im Glauben gehört jeden Tag neu die Hinwendung zu Gott.
Darum ist es auch für Erwachsene wichtig, sich regelmäßig an die eigene Taufe zu erinnern und sich ihre Bedeutung bewusst zu machen. Nur so kann sie unser Leben bestimmen.
Wenn der Zweifel in seinem Herzen, den Glauben zu besiegen drohte, soll der Reformator Martin Luther mit Kreide vor sich auf den Tisch geschrieben haben: „Ich bin getauft.“ Und dadurch hat er neue Zuversicht und Lebensmut bekommen. In Erinnerung an unsere Taufe wollen wir nun gemeinsam singen: „Ich bin getauft auf deinen Namen“. Amen.
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