500 Jahre Reformation
Predigt gehalten von Thomas SInning am Reformationsjubiläum, dem 31.10.2017 zum Kantatengottesdienst in der Dreikönigskirche.
Johann Sebastian Bach
Was Gott tut, das ist wohlgetan, BWV 98
1. Choral
Was Gott tut, das ist wohlgetan, es bleibt gerecht sein Wille;
wie er fängt meine Sachen an, will ich ihm halten stille.
Er ist mein Gott, der in der Not mich wohl weiß zu erhalten; drum lass ich ihn nur walten.
2. Recitativo
Ach Gott! wenn wirst du mich einmal von meiner Leidensqual, von meiner Angst befreien?
Wie lange soll ich Tag und Nacht um Hülfe schreien?
Und ist kein Retter da!
Der Herr ist denen allen nah, die seiner Macht
und seiner Huld vertrauen.
Drum will ich meine Zuversicht auf Gott alleine bauen,
denn er verlässt die Seinen nicht.
3. Aria
Hört, ihr Augen, auf zu weinen!
Trag ich doch mit Geduld mein schweres Joch.
Gott, der Vater, lebet noch,
von den Seinen läßt er keinen.
Hört, ihr Augen, auf zu weinen!
4. Recitativo
Gott hat ein Herz, das des Erbarmens Überfluß;
und wenn der Mund vor seinen Ohren klagt und ihm
des Kreuzes Schmerz im Glauben und Vertrauen sagt,
so bricht in ihm das Herz,
daß er sich über uns erbarmen muß.
Er hält sein Wort; er saget:
Klopfet an, so wird euch aufgetan!
Drum laßt uns alsofort, wenn wir in höchsten Nöten schweben, das Herz zu Gott allein erheben!
5. Aria
Meinen Jesum laß ich nicht,
bis mich erst sein Angesicht wird erhören oder segnen.
Er allein soll mein Schutz in allem sein,
was mir Übels kann begegnen.
Liebe Gemeinde!
500 Jahre Reformation. Ist das ein Jubiläum? Also ein Anlass zum Jubeln? Oder ist es ein Gedenktag? Nachdenklich, still, kritisch?
Darüber wurde schon im Vorfeld dieses heutigen Tages eifrig diskutiert.
Was machen wir heute daraus? Wir singen Lieder von Martin Luther, die er vor rund 500 Jahren gedichtet hat, und wir hören heute eine Kantate von dem Lutheraner J.S.Bach, die an Luthers Geburtstag 1726, also vor knapp 300 Jahren erstmals aufgeführt wurde. Es könnte also eine im wahrsten Sinne des Wortes schöne Geschichtsstunde werden. Schön, weil die Musik schön ist. Und eine Geschichtsstunde, weil alles so authentisch ist. Aber – reicht uns das? Ist es das, was diesem heutigen 500. Gedenken an den Beginn der Reformation angemessen wäre?
Das Lied Luthers „Erhalt uns Herr bei deinem Wort“ etwa werden wir gleich in diesem Gottesdienst singen. Aber in einer weichgespülten Version. Luthers Worte waren damals noch ein wenig aggressiver: „Erhol uns Here by dunem Wordt, unde stüre des Pawest und Türcken mordt De Ihesum Christum dynen Son Störtzen wollen van dynem thron.“ Dieses Lied erschien 1541 mit dem Zusatz „Ein Kinderlied, zu singen wider die zween Ertzfeinde Christi und seiner heiligen Kirchen, den Bapst und Türcken.“
Wenn wir also lediglich versuchen würden, den echten, den ursprünglichen Luther sozusagen wieder in unser lebendiges Bewusstein zu heben, so kämen wir buchstäblich in Teufels Küche. Die ganze Ökumene flöge uns um die Ohren, und die äußerst empfindliche, aber wichtige Debatte um die Integration von Migranten, vor allem auch der Türken in unserem Lande, wäre aufs Schwerste belastet. Lediglich von rechtspopulistischer Seite könnte man vielleicht ein wenig Beifall von jenen bekommen, die vorgeben, das christliche Abendland zu verteidigen. Aber darauf kann man gerne verzichten.
Ganz zu schweigen von Luthers teilweise unsäglichen Äußerungen über die Juden, die noch einmal ein ganz eigenes Problem darstellen, wenn wir uns an 500 Jahre Reformation erinnern.
Es ist also nicht so leicht mit Luther und der Reformation nach 500 Jahren, wenn wir einfach nur zurückblicken und die Vergangenheit betrachten und die Geschichte lebendig werden lassen.
500 Jahre Reformation sollten vielmehr ein Anlass sein, zu schauen, was heute und was morgen wichtig ist und bleibt von dem, was Luther vor 500 Jahren in Gang gesetzt hat.
Was ist für uns heute wichtig? Was öffnet uns den Horizont der Freiheit des Glaubens, die uns so viel bedeutet?
Vielleicht setzt uns die Kantate hier auf die rechte Spur:
„Was Gott tut, das ist wohlgetan“.
Hier heißt es im Rezitativ Nr. 4:
„Gott hat ein Herz, das des Erbarmens Überfluss.“
Hier ist von Gott die Rede. Nicht zuerst vom Menschen. Sondern von Gott.
Genau hier könnte der Schlüssel liegen zu der wesentlichen Erkenntnis, die uns weiterbringt, wenn Luthers Erbe für uns heute lebendig bleiben soll: Interessieren wir uns wieder für Gott! Nehmen wir die Rede von Gott nicht zu leicht und nicht zu selbstverständlich hin! Fragen wir, wer Gott ist und wie Gott ist. Lassen wir diese Frage zu als Frage, die auch in unserer heutigen Zeit aktuell ist und bleibt, und die auch unser eigenes Leben berührt.
Für uns als Kirche ist es m.E. entscheidend, dass sie sich nicht in den Diskussionen über die gegenwärtigen Probleme in Kirche und Gesellschaft verliert, sondern dass sie dies als ihren Markenkern im Zentrum behält: Die Frage nach Gott.
Und das gleiche gilt ebenso für jeden Christen ganz persönlich: Die Frage nach Gott bleibt die entscheidende Frage, an der sich alles entscheidet.
„Gott hat ein Herz, das des Erbarmens Überfluss“.
Das kann man als roten Faden durch die ganze Bibel entdecken.
„Gott hat ein Herz, das des Erbarmens Überfluss“.
Das ist das Evangelium. Die frohe und befreiende Botschaft. Nichts anderes hat Jesus den Menschen vermittelt in seinen Worten und Taten, mit seinem Sterben am Kreuz und mit seiner Auferstehung.
„Gott hat ein Herz, das des Erbarmens Überfluss“.
Nichts anderes war für Luther der entscheidende Wendepunkt, als genau zu dieser Erkenntnis gelangt zu sein.
Und nichts anderes wäre stark genug, um mein Leben in allen Entscheidungs- und Krisensituationen zu tragen: Die Gewissheit, dass Gott ein Herz hat. Dass Gott ein gnädiger Gott ist, der will, dass alle Menschen leben, befreit von der Macht der Sünde und des Todes.
In den 95 Thesen, die Luther heute genau vor 500 Jahren veröffentlichte, steht ein wichtiger Satz; es ist die These Nummer 62:
„Der wahre Schatz der Kirche ist das allerheiligste Evangelium von der Herrlichkeit und Gnade Gottes.“
Schätze sind dazu da, dass sie bewahrt werden. Nicht allein aber das, sondern dass sie auch geteilt werden, damit alle davon profitieren.
Das geschieht, indem wir nicht aufhören, von Gott zu reden. Von seiner Gnade. Von der Freiheit eines Christenmenschen, die darin beschlossen liegt. Von dem
„Herz Gottes, des Erbarmens Überfluss“,
und davon wie diese Erkenntnis auch unsere Herzen weit machen kann und verwandeln kann zu „Herzen des Erbarmens.“
Was das für mich persönlich bedeutet; was das für Konsequenzen für unsere Kirche hat, für unsere Gesellschaft; wie politisch dieser Satz sein kann, davon wäre noch viel zu reden. Fangen wir ruhig damit an und hören wir nicht mehr davon auf. Amen.
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