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500 Jahre Reformation

Bild: „Luther 2017“Offizielles Logo der Lutherdekade und des Reformationsjubiläums 2017

Predigt gehalten von Silke Alves-Christe am Reformationsjubiläum, dem 31.10.2017 zum Kantatengottesdienst in der Dreikönigskirche.

Johann Sebastian Bach
Was Gott tut, das ist wohlgetan, BWV 98

1. Choral

Was Gott tut, das ist wohlgetan, es bleibt gerecht sein Wille;
wie er fängt meine Sachen an, will ich ihm halten stille.
Er ist mein Gott, der in der Not mich wohl weiß zu erhalten; drum lass ich ihn nur walten.

2. Recitativo

Ach Gott! wenn wirst du mich einmal von meiner Leidensqual, von meiner Angst befreien?
Wie lange soll ich Tag und Nacht um Hülfe schreien?
Und ist kein Retter da!
Der Herr ist denen allen nah, die seiner Macht
und seiner Huld vertrauen.
Drum will ich meine Zuversicht auf Gott alleine bauen,
denn er verlässt die Seinen nicht.

3. Aria

Hört, ihr Augen, auf zu weinen!
Trag ich doch mit Geduld mein schweres Joch.
Gott, der Vater, lebet noch,
von den Seinen läßt er keinen.
Hört, ihr Augen, auf zu weinen!

4. Recitativo

Gott hat ein Herz, das des Erbarmens Überfluß;
und wenn der Mund vor seinen Ohren klagt und ihm
des Kreuzes Schmerz im Glauben und Vertrauen sagt,
so bricht in ihm das Herz,
daß er sich über uns erbarmen muß.
Er hält sein Wort; er saget:
Klopfet an, so wird euch aufgetan!
Drum laßt uns alsofort, wenn wir in höchsten Nöten schweben, das Herz zu Gott allein erheben!

5. Aria

Meinen Jesum laß ich nicht,
bis mich erst sein Angesicht wird erhören oder segnen.
Er allein soll mein Schutz in allem sein,
was mir Übels kann begegnen.

Liebe Gemeinde!

Not – Leidensqual – Angst – um Hülfe schreien – kein Retter da – schweres Joch – Hört, ihr Augen, auf zu weinen! – in höchsten Nöten schweben: als eine rundherum frohe Festtagskantate kann man diese Bachkantate nicht bezeichnen.

Der Dank für die geschenkte Reformation, die Freude darüber, dass Gott seine Kirche erneuert hat, klingt nun nicht gerade aus den Texten dieser Kantate.

Eher höre ich daraus die Anfechtungen, mit denen ja auch Luther zu kämpfen hatte. Martin Luther hat leider nicht aufgeschrieben, was am 31. Oktober 1517 genau vor sich ging, wie diese Initialzündung der Reformation abgelaufen ist.

Was Luther uns aber sehr genau geschildert hat, ist seine befreiende, reformatorische Entdeckung wohl einige Jahre vor dem Thesenanschlag, die seinen Glauben und sein ganzes Denken und Leben veränderte.

Und da beschreibt er zunächst sein verzweifeltes, angst- und notvolles inneres Ringen um die biblischen Aussagen über die „Gerechtigkeit Gottes“, in denen er Gott als strafenden, zornigen Gott empfand, vor dem er niemals glaubte, bestehen zu können.

Hören wir einige Sätze aus Luthers Bericht über die Geburtsstunde seiner reformatorischen Entdeckung in seinem Wittenberger Turmzimmer:

Mit außerordentlicher Leidenschaft war ich davon besessen, Paulus im Brief an die Römer kennenzulernen. Ein einziges Wort im ersten Kapitel des Römerbriefs war mir bisher dabei im Wege, im Vers 17, wo es heißt: „Im Evangelium wird die Gerechtigkeit Gottes offenbart.“ Ich haßte nämlich dieses Wort „Gerech­tigkeit Gottes“, nach der Gott gerecht ist und die Sünder und Ungerechten straft.

Ich konnte den gerechten, die Sünder strafenden Gott nicht lieben, im Gegenteil, ich haßte ihn sogar. … So wütete ich wild und mit verwirrtem Gewis­sen, jedoch klopfte ich beharrlich bei Paulus an dieser Stelle an; ich dürstete glühend zu wissen, was Paulus wolle.

Zu solchem Anklopfen werden wir auch im 4. Satz der Bachkantate aufgefordert, im Rezitativ des Basses:

Er hält sein Wort; er saget:

Klopfet an, so wird euch aufgetan!

Der Text der Kantate zitiert hier die Aufforderung Jesu aus der Bergpredigt, die wir als Schriftlesung hörten:

Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.

Ich war bisher nicht auf die Idee gekommen, dass man auch an einer Bibelstelle anklopfen könnte, an einer unverständlichen theologischen Aussage. Aber in der Tat: auch biblische Aussagen, die wir nicht verstehen, können uns – wie eine verschlossene Tür – den Zugang zum Glauben verschließen.

Und Martin Luther wurde bei seinem beharrlichen Anklopfen genau das geschenkt, was der Satz der Bergpredigt verheißt:

Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.

Luther erzählt weiter:

Da erbarmte sich Gott meiner. Tag und Nacht war ich in tiefe Gedanken versunken, bis ich endlich den Zusam­menhang der Worte beachtete: „Die Gerechtigkeit Gottes wird im Evangelium offenbart, wie geschrieben steht: Der Gerechte lebt aus dem Glauben.“ Da fing ich an, die Gerechtigkeit Gottes als eine solche zu verstehen, durch welche der Gerechte als durch Gottes Gabe lebt, nämlich aus dem Glauben. Da fühlte ich mich wie ganz und gar neu geboren, und durch offene Tore trat ich in das Paradies selbst ein.

Was muss das für ein Erlebnis gewesen sein, dass Luther im Rückblick sagen kann, dass er ganz und gar neu geboren durch offene Tore in das Paradies selbst eintrat!

Bevor Martin Luther sich mit Papst und Kaiser anlegte, bevor seine Anfragen an die damalige Theologie und Kirche das ganze christliche Abendland in Bewegung brachten, da hat Gott auf sein beharrliches, ja wildes, wütendes Anklopfen an eine verschlossene Tür ihm nicht nur diese Tür geöffnet, sondern: durch offene Tore trat ich in das Paradies selbst ein.

Gott hat ihm das Erlebnis geschenkt, neu geboren zu sein, von drückender Sündenlast befreit und von Gott angenommen zu sein. Dieses bedingungslose von Gott geliebt werden, diese Rechtfertigung durch das Evangelium, durch das, was Jesus Christus für uns getan hat, das war die Kraftquelle, die Martin Luther durch sein ganzes Leben hindurch gespeist hat. Geliebt und angenommen sein ohne eigene Leistungen, sondern durch die liebende Selbsthingabe Jesu Christi, durch den Glauben an sein Evangelium: das ist das reformatorische Grunderlebnis.

Wenn heute am deutschlandweiten Feiertag der Reformation von kirchlichen und politischen Würdenträgern sicher viel über die Außenwirkung Martin Luthers gesprochen wird, über all das in der Tat Beeindruckende, das er sowohl in der Kirche wie auch in der Gesellschaft ins Rollen brachte, so ist es mir wichtig, auch an sein inneres Ringen zu erinnern, an sein intensives Anklopfen, an sein beharrliches, glühendes Gebet. Denn ich bin überzeugt, dass eine so starke Wirkung nach außen nicht ohne starke innere Kämpfe zu haben ist.

Unsere heutige evangelische Kirche leidet sehr unter ihrem Bedeutungsverlust in unserer Gesellschaft. Darum liebt sie alles, was öffentlichkeitswirksam ist und das Interesse der Medien findet, was Außenwirksamkeit erzielt. Ich wünsche mir aber, dass wir uns nicht nur etwa darüber begeistern, wie Martin Luther die damals neuesten Medien so treffsicher anwandte, um sein Anliegen nach außen publik zu machen. Wichtiger scheint mir, an die inneren, ja man kann auch sagen mystischen Erfahrungen Martin Luthers anzuknüpfen und die Tiefen, die Tiefendimension wiederzuentdecken, die er intensiv erlebte. Darum freue ich mich auf die nun folgende Zeit, in der das öffentliche Interesse wieder nachlassen wird und unsere Kirche nicht ständig einer noch besseren Medienpräsenz, einer noch originelleren Öffentlichkeitsarbeit nachjagen muss, sondern vielmehr „Innerlichkeitsarbeit“ betreiben kann: ein inneres Ringen, ein beharrliches Anklopfen an Bibeltexten, ein glühender Durst, Gott zu begegnen und aus dem Vertrauen in ihn allein zu leben.

Diese „Innerlichkeitsarbeit“, dieses beharrliche Anklopfen, nach Kräften zu unterstützen sehe ich als vordringliche Aufgabe unserer Dreikönigsgemeinde, aber ich wünsche mir, dass wir sie in ökumenischer Verbundenheit anpacken.

In der 7. Strophe des folgenden Liedes werden wir von dieser inneren, innigen Verbindung zu Gott singen wie in einem Liebesgedicht, wo die Liebe Jesu Christi zu uns in Worte gefasst ist, wo Jesus Christus das zu uns spricht, was er uns gleich im Abendmahl schenken will:

Er sprach zu mir:

»Halt dich an mich, es soll dir jetzt gelingen;
ich geb mich selber ganz für dich, da will ich für dich ringen;
denn ich bin dein und du bist mein,
und wo ich bleib, da sollst du sein,
uns soll der Feind nicht scheiden.

So im Innern gestärkt werden wir Christen dann auch nach außen hin wirken und in die Gesellschaft hinein ausstrahlen, die nichts dringender braucht als das Evangelium von Jesus Christus. Amen.

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