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"Wartburg – Lesen und Verstehen"

Predigt gehalten von Pfarrer Thomas Sinning am Sonntag, 30.07.2017 in der Predigtreihe „Orte der Reformation“ in der Dreikönigskirche in Frankfurt am Main.

Liebe Gemeinde,

die Wartburg ist ein besonderer Ort, diese eindrucksvolle Burg hoch oben über der Stadt Eisenach. 1000 Jahre deutscher Geschichte spiegeln sich hier eindrucksvoll wider. Lieder Walthers von der Vogelweide erklangen und Dichtungen Wolframs von Eschenbach entstanden hier. Sie war Wohn- und Wirkungsstätte der bis heute verehrten heiligen Elisabeth von Thüringen.

Im Jahr 1521 verbrachte Martin Luther hier wichtige Monate, von Mai 1521 bis März 1522, nachdem er als geächteter Mensch den Reichstag in Worms verlassen hatte und von Kurfürst Friedrich zu seinem Schutz dort untergebracht wurde. Heute ist die Wartburg die meistbesuchte Lutherstätte weltweit. 

Als „Junker Jörg“ lebte Martin Luther unter falschem Namen und mit verändertem Äußeren – er ließ sich Haare und Bart wachsen – auf der Wartburg. Aber nicht nur äußerlich hatte ein neuer Abschnitt in seinem Leben begonnen. Das Bewusstsein, der Bruch mit der römischen Kirche sei nicht mehr aufzuhalten, wird gerade in seiner Zeit auf der Wartburg in ihm gewachsen sein.  

Die Wartburgzeit war für Luther keine leichte Zeit. Sie war von Krankheiten und von Anfechtungen gekennzeichnet. Viele Legenden ranken sich um seine Zeit dort. Luther selbst nannte seinen Aufenthalt dort „seine Insel Patmos“ in Anspielung auf Johannes, den Seher, der in der Verbannung auf der Insel Patmos die Offenbarung, das letzte Buch der Bibel verfasste.

Zu den wichtigsten und von ihrer Wirkung bedeutendsten Schriften Luthers gehört seine Übersetzung der Bibel aus dem Urtext ins Deutsche. Der erste Teil, das Neue Testament, entstand auf der Wartburg in nur elf Wochen, vom Dezember 1521 bis Februar 1522.

Es ist erstaunlich, dass Luther dieses gewaltige Übersetzungswerk von 220 Seiten mit solcher Gründlichkeit in dieser kurzen Zeit vollenden konnte. Dabei litt er unter Zweifeln und Anfechtungen. Dass er den Satan durch einen Wurf per Tintenfass verjagt habe, ist eine nette Legende, die wohl auf seine Bemerkung: „Ich habe den Teufel mit Tinte bekämpft“ zurückgeht.

Als Luther Anfang März 1522 nach zehn Monaten die Wartburg verließ, hatte er das Manuskript des Neuen Testamentes in Deutsch bei sich. Nach weiterer Bearbeitung erschien es am 21. September 1522 in Wittenberg mit der für damalige Verhältnisse sehr großen Auflage von 3000 Exemplaren. Diese „Septemberbibel“ war so rasch ausverkauft, dass ihr bereits drei Monate später die nächste Auflage folgte.

Luther war keineswegs der erste, der das Neue Testament ins Deutsch übersetzte, es gab nicht weniger als 18 gedruckte deutsche Bibelausgaben zuvor. Doch Luther machte es anders als alle Übersetzer vor ihm; er löste sich von der lateinischen Vorgabe und übersetzte aus dem griechischen Urtext. Damit war er viel näher am authentischen Wortlaut der Bibel. Und nicht nur das. Er ließ sich von der Bibel zu einer lebendigen, verständlichen Sprache inspirieren. Das war wichtig für die Wirkung seines Werkes.

Luther übersetzte nicht immer wörtlich. Entscheidend war für ihn, dass der Sinn des Textes richtig erfasst und in der deutschen Sprache verständlich wiedergegeben wurde. Notfalls muss man dann auch einmal ein Wort ergänzen.

So erläuterte er seine Übersetzung des Verses aus Römer 3,28: „So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke allein durch den Glauben“ in seinem Sendbrief vom Dolmetschen: er sagte, dass er das Wort „allein“ eingefügt habe, obwohl es nicht im Urtext steht, weil es in der Ursprache so gemeint sei und eben im Deutschen zur Verdeutlichung gesagt werden müsse: „Allein durch den Glauben“.

Hier kann man sehen, dass es Luther niemals nur um Worte oder um Sprachwissenschaft ging. Es ging ihm ums Verstehen des Evangeliums. Verstehen als etwas, das die eigene Existenz berührt, das mit dem Leben zu tun hat und beim Hörer etwas bewirkt. „Man muss dem Volk aufs Maul schauen,“ schreibt er, und das hat er getan.

Seine Sprache war nicht nur gut lesbar, sondern vor allem  auch im Hören verständlich. Und er war kreativ im Finden neuer Worte und Redewendungen: Feuereifer, Herzenslust, Morgenland, ein Buch mit sieben Siegeln, seine Hände in Unschuld waschen, ein Dorn im Auge, im Dunkeln tappen und viele weitere Ausdrücke schenkte er der deutschen Sprache.

Aber uns Christen geht es ja nicht allein um die gewaltige und kaum zu überschätzende Bedeutung von Luthers Bibelübersetzung als kulturelle Leistung. Uns geht es um das Verstehen des Inhaltes, des Evangeliums.

Luther hatte seine Entdeckung, dass wir einen gnädigen Gott haben, in der Bibel gemacht. Und darum wusste er, dass ohne die Bibel dem Glauben die entscheidende Grundlage fehlt.

Erst der freie Zugang zur Bibel für jedermann hat es möglich gemacht, dass Menschen ohne die Vermittlung kirchlicher Autoritäten ihren eigenen Zugang zu Gott finden. Das ist wichtig.

Ich kann eine eigene, persönliche Beziehung zu Gott finden, weil Gott zu mir spricht. Die Texte der Bibel, so verschieden sie in ihrer Art und Entstehungsgeschichte auch sind, die Texte der Bibel können für jeden Menschen zu Gottes Wort werden, der sie hört oder liest.

Freilich, die Mühen des Lesens und Verstehens, auch der historischen und kritischen Auslegung, bleiben einem dabei oft nicht erspart. Sie sind notwendig, damit ein fundamentalistischer Missbrauch der biblischen Worte ausgeschlossen wird. Es gibt ja große Unterschiede in den biblischen Texten, die im Laufe von vielen Hunderten von Jahren entstanden sind. Nicht alle finden einen Bezug zu mir heute. Und doch geschieht es immer wieder, das einzelne Worte oder Texte der Bibel mich berühren.

Aber wenn diese alten, aber tiefen Worte mich persönlich berühren, dann begegnet mir Gott selber in ihnen. Wenn ich spüre, dass Jesu Worte: „Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen,“ oder „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“ mir persönlich gelten. Wenn ich spüre: Ich bin gemeint. Dann bin ich im direkten, unmittelbaren Kontakt mit Gott.

Hier kann sich keine kirchliche oder sonstige Autorität dazwischen schalten und sagen: „Ja, aber“ – erst musst du noch diese Bedingung erfüllen oder jenes tun. Nein. Wenn ich die Worte höre und annehme, dann werden sie für mich zu Gottes Wort.

Das ist eine kostbare Erfahrung, die nicht nur Luther, sondern unzählige Menschen vor und nach ihm gemacht haben und immer wieder neu machen: Gott spricht zu mir durch die Worte der Bibel. Sie werden mir zu seinem Wort.

Luther wurde vorgeworfen, er habe mit der Bibelübersetzung und mit dem Bestehen auf Gottes Wort als einziger Autorität einen neuen Papst erschaffen, nicht einen aus Fleisch und Blut, sondern aus Papier.

Aber, liebe Gemeinde, genau das ist die Bibel eben nicht. Denn bei ihr geht es eben nicht um einen unkritischen Gehorsam ihr gegenüber, sondern um ein eigenständiges, kritisches Verstehen mit Herz und Verstand.

Luther hat ja selber die Bibel durchaus auch auf seine Weise kritisch gelesen. Er maß die Bibel an dem theologischen Kriterium „Was Christum treibet“, das ist für ihn das Entscheidende. Entsprechend schätze er das Johannesevangelium weit höher als etwa die Offenbarung oder den Jakobusbrief.

Nur wer die Texte genau liest, kann sie auch historisch-kritisch lesen und zugleich die Botschaft verstehen und auf sich beziehen. Deshalb ist es schade, wenn die Bibel in deutscher Sprache vielleicht das meistverbreitete Buch ist, aber nur selten gelesen wird. Da gehen Chancen geistlicher Erfahrung verloren.

Umgekehrt: wer regelmäßig die Bibel liest, auch die schwierigen und die fremd erscheinenden Stellen nicht ausspart, der wird Entdeckungen machen. Und der wird immer wieder neu berührt und angesprochen werden von Gottes Wort.

Der amerikanische Schriftsteller Mark Twain sagte einmal: „Ich habe keine Schwierigkeiten mit dem, was ich in der Bibel nicht verstehe. Probleme machen mir die Stellen, die ich sehr gut verstehe.“  Gottes Wort bewegt mich. Es kann mich auch in Unruhe versetzen und mich spüren lassen, dass in meinem Leben etwas in die falsche Richtung läuft. Das ging Mark Twain offenbar auch so.

Aber Gottes Wort schenkt mir auch die Gewissheit, dass ich von Gott geliebt bin und dass seine Vergebung mir die Perspektive gibt, neu anzufangen.

Darum gibt es keinen Grund, die Bibel links liegen zu lassen. Es lohnt sich, sie immer wieder zur Hand zu nehmen. Denn sie ist die Quelle, aus der unser Glaube schöpft. Wer nicht genug trinkt, der verdurstet. Das gilt auch im geistlichen Sinne für uns Glaubende. Schöpfen wir aus dieser Quelle. Es lohnt sich.

 

 

 

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