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„Erfurt – Fürchten und Lieben“

Predigt gehalten von Pfarrer Thomas Sinning am Sonntag, den 16.07.2017 in der Predigtreihe „Orte der Reformation“ in der Dreikönigskirche in Frankfurt am Main.

Liebe Gemeinde!

Nach Wittenberg und Worms machen wir auf unserer Predigtreise heute Station in Erfurt. Erfurt ist die Stadt des jungen Martin Luther. Universität und Kloster prägten ihn in dieser Stadt nachhaltig.

Als der junge Martin Luther 1501 mit 18 Jahren nach Erfurt kam, um dort sein Studium der freien Künste an der philosophischen Fakultät aufzunehmen, erlebte er eine pulsierende Metropole voller gesellschaftlicher und religiöser Spannungen. Die Stadt zählte damals mit fast 20.000 Einwohnern zu den größten des Reiches. Luther schwärmte vom imposanten „Erfordia turrita“, dem „türmereichen Erfurt“ mit seinen zwei Mauerringen, den über 40 Kirchen, gekrönt vom Domhügel und der Peterskirche.

Luthers "Studentenwohnheim", die Georgenburse, sowie die meisten Bursen, Kollegien, die Universitätskirche und zahlreiche Druckereien befanden sich im "lateinischen Viertel". Später schrieb er einmal:

"Die Erfurter Universität ist meine Mutter, der ich alles verdanke."

Nach dem er den Grad eines Magister Artium erreicht hatte, widmete er sich den Rechtswissenschaften und entsprach damit durchaus den Karriereerwartungen seines Vaters.

Doch im Jahr 1505 erlebte er einen tiefen Einschnitt in seinem Leben. Auf dem Heimweg von den Eltern, die in Mansfeld wohnten, ereilte ihn am 2. Juli 1505 nahe dem heutigen Erfurter Vorort Stotternheim ein heftiges Unwetter, wobei er, als ein Blitz auf freiem Feld nahe bei ihm niederging, in größter Not geschworen haben soll:

"Hilf du, Heilige Anna, ich will ein Mönch werden!"

Noch heute erinnert ein Gedenkstein an diesen Ort als – wie es auf dem Stein heißt - „Wendepunkt der Reformation“.

Auch wenn er dieses Gelübde nicht hätte erfüllen müssen – schließlich gab es ja keine Zeugen, und ein in Not abgelegtes Gelübde wurde grundsätzlich als nicht bindend betrachtet, so blieb Luther noch konsequent: Am 17. Juli 1505 (morgen wäre der 512. Jahrestag dieses Ereignisses) trat er in das Erfurter Augustinerkloster ein.

Das Mönchleben, dem Luther sich unterwarf, war hart. Er lebt in einer 6 qm großen unbeheizten Kammer mit Bett, Strohsack und Decke, einem Tisch, einem Schemel und einem Wasserkrug. Privaten Besitz hat er nicht mehr. Fünf Gebetszeiten am Tag, 100 Tage im Jahr fasten, nicht lachen, nur das Nötigste mit den Mitbrüdern reden.

Das alles nimmt Luther bewusst auf sich. Doch weil er ein studierter und des Lateinischen kundiger Mann ist, hat er auch viel Gelegenheit, zu lesen. Er studiert theologische Bücher und natürlich auch die Bibel. 1507 wird er im Erfurter Dom St.Marien zum Priester geweiht. Zugleich nahm er in diesem Jahr auch das Studium der Theologie in Wittenberg auf. Doch er kehrte in jenen Jahren noch oft nach Erfurt in sein Heimatkloster zurück und predigte in dieser Stadt.

So ist Erfurt der Ort, an dem Martin Luther seine entscheidende biografische Wende vollzog, vom Jurastudenten zum Mönch und Priester.

Warum hat Luther den Weg ins Kloster gewählt? Warum zog er dieses Leben im Verzicht einer glänzenden Juristenkarriere vor, die er als begabter Student hätte haben können?

Luthers Leben war – und darin war er in seiner Zeit gewiss nicht der Einzige – von einer tiefen Angst geprägt. Gottesfurcht galt ja durchaus als Ausweis von Frömmigkeit. Luther aber fürchtete Gott so sehr, dass sein ganzes Leben von der Angst bestimmt war, ob er denn jemals überhaupt vor Gott bestehen könnte.

Gott ist gerecht. Er verurteilt die Sünder – mit Recht! Das jüngste Gericht war für ihn nicht bloß ein Mythos, sondern eine ganz reale Perspektive. Luther hatte Angst vor Gott, und ihn bewegte vor allem anderen die Frage: „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“ „Wie werde ich am Ende meines Lebens vor Gott bestehen und wohin werde ich gehen – zum Heil des ewigen Lebens oder in ewige Verlorenheit?“ 

So, wie ein Kind unter sehr strengen Eltern leidet und doch nichts anderes als von ihnen geliebt werden will, so fühlt sich Luther in seiner Beziehung zu Gott. Darum wird er Mönch. Er denkt: nun mache ich es ihm doch recht.

Aber das Erfurter Kloster ist für Luther nicht etwa ein Ort der Vergewisserung und der frommen Erbauung geworden, sondern vielmehr wurde es für ihn ein Ort tiefster innerer Krisen und Anfechtungen.

Die Härte des Klosterlebens, die intensivierte Frömmigkeit, die ständige innere Prüfung und regelmäßige Beichte, die seelsorgerliche Begleitung durch den Generalvikar des Ordens Johannes Staupitz - alles das hilft Luther nicht weiter.

Sondern im Gegenteil, seine Zweifel werden nur noch größer. Denn er fühlt, dass es nicht reicht, was er tut. Es gibt keine reine Liebe, die nicht durch Selbstliebe getrübt wäre. Luther stellt fest: Eigenes Tun reicht nicht, um den gerechten Gott zufrieden zu stellen.

Er kann später im Rückblick sagen:

„Ich liebte Gott nicht, ja, ich hasste vielmehr den gerechten und die Sünder strafenden Gott und empörte mich im Stillen gegen Gott.“

Luther fühlte sich immerzu unter Druck. Alles was er tat, worum er sich mühte, als Mönch, als frommer Christ, das konnte ihm nicht die Gewissheit geben, geliebt zu sein. Denn ein gerechter Gott kann ihn wie alle Menschen nur verurteilen, nicht aber lieben, so schien es ihm. 

So blieb die Frage wie ein Stachel: „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“ Wie komme ich dahin, Gott nicht nur zu fürchten, sondern zu lieben?

Eine Bibelstelle markiert die grundlegende Wende in Luthers Leben und Denken: Im Römerbrief zitiert der Apostel Paulus ein Wort aus dem Propheten Habakuk: „Der Gerechte wird aus Glauben leben.“ (Rö.1,17).

Dieses Bibelwort kann Luther mit einem Mal ganz neu verstehen. Er schreibt im Rückblick:

„Da begann ich, die Gerechtigkeit Gottes zu verstehen als derjenige, durch die der Gerechte als durch Gottes Gnade lebt, nämlich durch Glauben.“

Gott ist nicht gerecht, weil er den Sünder verurteilt, sondern weil er ihn gerecht spricht. Das Entscheidende tut also nicht der Gläubige, sondern Gott.

Ein Gott, der so ist, macht nicht Angst, sondern weckt Liebe. Denn er hat nichts anderes im Sinn als den Menschen aus seiner Verlorenheit, also aus der Macht der Sünde und des Todes  zu befreien, weil er ihn liebt. Luther begreift: was ich nie schaffen konnte, das hat Gott längst für mich getan!

Diese Erkenntnis ist bei Luther wohl länger gereift. Die Zeit in Erfurt liegt dann schon hinter ihm. Für ihn ist der Glaube zum Schlüssel geworden, der ihm den Weg zu Gott öffnet. Nicht als Verdienst, sondern als Vertrauen auf Gottes Liebe.

Die wenigsten von uns, liebe Gemeinde,  werden diese Erleichterung, die Luther mit dieser Erkenntnis erlebt hat, heute nachvollziehen können. Wer von uns hat heute noch Angst vor einem gerechten Gott? Wer fürchtet das jüngste Gericht?

Vielmehr scheint mir heute – und das ist wohl eben auch eine Fernwirkung der Reformation - die Gewissheit, die Luther gewonnen hat, zu einem recht wohlfeilen Allgemeinplatz geworden zu sein, wenn man gemeinhin vom „lieben Gott“ spricht, der harmlos geworden ist, weil es ja sein Job ist, „lieb“ zu sein.

„Gott liebt alle Menschen“ -  mit dieser kostbaren Wahrheit, die als selbstverständlich genommen wird, geht man schnell zu Tagesordnung über, ohne noch weiter an Gott zu denken.

Hier spüren wir den Abstand von heute zur Reformationszeit. Aber das sollte uns nicht davon abhalten, zu fragen, was das Evangelium von dem gnädigen Gott, der uns Menschen nicht nach unserer Lebensleistung beurteilt, sondern nach seiner Liebe, was das für einen Unterschied macht im Leben und im Sterben.

Ich glaube, es macht einen Unterschied, wenn Menschen nicht allein nach Herkunft oder beruflichem Erfolg, nach Begabungen oder ihren nach außen wahrnehmbaren Eigenschaften beurteilt werden. Im Alltag geschieht das ja in der Regel. Jeder, der ein Bewerbungsgespräch geführt hat, weiß, wie sehr man sich da unter Druck fühlen kann. Jeder, der nicht den gesellschaftlich vorgegebenen Idealen entspricht, weiß, wie sich das anfühlen kann.

Und wer erst einmal anfängt, die Abgründe der eigenen Seele wahrzunehmen und davor erschrickt, wozu ich nur in meinem Innersten fähig bin an Ungerechtigkeit und Egoismus, auch nur in Gedanken, der wird verstehen, dass es gut ist, nicht danach beurteilt zu werden.

Am Ende zählt das alles vor Gott nicht. Am Ende zählt nur, dass jeder Mensch sich grundlos geliebt wissen darf von Gott. Das schenkt mir Gewissheit. Das tröstet mich, auch wenn ich an meinen eigenen Tod denken muss. Denn das verheißene Leben in Gottes Ewigkeit ist nicht von mir abhängig, sondern von Gott.

Und mit dieser Perspektive kann ich gar nicht anders, als mit dem Blick der Barmherzigkeit die Menschen zu sehen, die sonst durch das gnadenlose Raster der Anerkennung ihrer Mitmenschen fallen. Und dann wird das, was ich meinem Mitmenschen Gutes tue, auch nicht dazu dienen, vor Gott gut da zu stehen, sondern um meinem Mitmenschen ganz konkret zu helfen.

Ja, liebe Gemeinde, es macht einen Unterschied, wenn man die Gewissheit hat, einen gnädigen Gott zu haben.

Luther ist später noch einige Male nach Erfurt, dem Ort seiner tiefsten Anfechtungen, zurückgekehrt.

In einer Predigt, die er im Jahr 1521, kurz vor seiner Reise nach Worms, in der Augustinerkirche zu Erfurt hielt, sagte er:

„Im rechten Glauben ist alles, was uns vorher bitter gewesen ist, süß. … Es soll ein jeder Mensch sich besinnen und bedenken, dass wir uns nicht helfen können, sondern Gott. Auch wenn unsere Werke gar gering seien, so haben wir den Frieden Gottes, und ein jeder Mensch soll sein Werk so einrichten, dass es ihm nicht allein nützlich sei, sondern auch einem anderen, seinem Nächsten.“

Es ist wertvoll, wenn wir die Orte unserer Anfechtungen, unserer Glaubens- und Lebenskrisen, nicht vergessen. Mit der Dankbarkeit des Glaubens lässt sich daraus Kraft schöpfen und Inspiration zu einem liebevollen, barmherzigen Lebensstil.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.

 Foto: © LutherCoutry (LutherCountry)

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