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"Marburg - Uneinig im Mahl der Einheit"

Predigt gehalten von Pfarrerin Silke Alves-Christe am Sonntag, 06.08.2017 in der Predigtreihe „Orte der Reformation“ in der Bergkirche in Frankfurt am Main.

Liebe Gemeinde!

Immer wieder höre ich von katholischen Christen, dass sie an der evangelischen Kirche am meisten irritiert oder stört, dass sie in sich so gespalten und uneins ist. Diese Kritik kann ich sehr gut nachvollziehen – und leider ist das ja nicht erst eine neue Entwicklung, sondern von Anbeginn der Reformation an war sich die reformatorische, die evangelische Bewegung in manchen theologischen Fragen nicht einig und war darum in ihrem guten und berechtigten Anliegen geschwächt.

Besonders schwerwiegend waren die innerevangelischen Unterschiede in der Deutung des Abendmahls.

Einig waren sich die Reformatoren in der Ablehnung des katholischen Messopfers, das der Priester dem zürnenden Gott darbringt. Einig waren sie sich in der Kritik an der katholischen Lehre von der Wandlung der Abendmahlselemente Brot und Wein in Leib und Blut Christi, auch Transsubstantiation genannt und natürlich darin, dass es nicht schriftgemäß sei, nur Brot und nicht auch Wein auszuteilen.

Aber viele Jahre lang stritten sie sich untereinander mit der größten Leidenschaft über die genaue Bedeutung des Abendmahls, das für die evangelische Bewegung ein unentbehrliches, wesentliches Stück des Gottesdienstes war, aus dem die Gemeinde ihre geistliche Nahrung und Kraft ziehen sollte.

Der friedliebende Melanchthon, Martin Luthers enger Verbündeter in Wittenberg, beklagt in einem Brief: „Welch ein Unglück, wie beweinenswert ist es doch, daß dieses heilige Symbol der Liebe Stoff und Anlaß zum Streit sein muß!“

Martin Luther, der ja auch im Kampf gegen die päpstlichen Lehren kein Blatt vor den Mund nahm, reagierte mindestens genauso heftig, als ihm die Abendmahlslehre des Zürcher Reformators Huldrych Zwingli bekannt wurde, und er verstieg sich sogar zu dem Satz:

„Ich bekenne für mich, dass ich den Zwingel für einen Unchristen halte mit all seiner Lehre; denn er hält und lehrt kein Stück des christlichen Glaubens recht.“

Wie gut, dass in diesem aus dem Ruder laufenden Theologenstreit ein Nichttheologe einen sehr hilfreichen und wichtigen Vorschlag unterbreitete. Ja, man kann es als einen Beitrag protestantischen Laienpriestertums bezeichnen, dass der protestantische Landgraf Philipp von Hessen auf dem Reichstag zu Speyer 1529 Luther und Zwingli zu einer (Zitat) „freundlichen undisputierlichen Unterredung“ auf sein Marburger Schloss einlud.

Landgraf Philipp der Großmütige wollte durch die Beilegung des innerevangelischen Streits auch den Weg frei machen zu einem großen politischen Bündnis aller protestantischen Fürsten, Städte und Länder.

Im Landgrafenzimmer des Marburger Schlosses hoch über der Stadt fand dann vom 1. - 4. Oktober 1529 das Marburger Religionsgespräch statt.

Es war nicht allein ein Dialog unter 4 Augen zwischen den Hauptkontrahenten Luther und Zwingli, sondern man kann das Marburger Religionsgespräch vielleicht als die bedeutendste Theologenversammlung der Reformationszeit bezeichnen.

Huldrych Zwingli reiste aus Zürich an und mit ihm Johannes Oekolampad aus Basel und Martin Bucer und Caspar Hedio aus Straßburg.

Martin Luther wurde selbstverständlich von seinem Freund Philipp Melanchthon und einem weiteren Wittenberger Mitstreiter Justus Jonas begleitet. Letzterer wie auch Andreas Osiander aus Nürnberg, Johannes Brenz aus Schwäbisch Hall und Stephan Agricola aus Augsburg nahmen als Zuhörer auf Luthers Seite teil.

Auf dem Marburger Schloss waren alle Teilnehmer gastlich untergebracht. Auch Landgraf Philipp der Großmütige nahm an den Gesprächen teil.

Und tatsächlich nahm das persönliche Gespräch der Kontrahenten viel von der Schärfe hinweg, die zuvor die schriftliche Auseinandersetzung geprägt hatte.

Dennoch kam es nicht zu einer Einigung. Landgraf Philipp gab, als er die Gespräche scheitern sah, den Auftrag, die Artikel aufzustellen, in denen man sich einig bzw. nicht einig war.

Erstaunlich war dabei das Ausmaß der Gemeinsamkeiten. In 14 Marburger Artikeln über zentrale theologische Fragen konnte man vollständige Einigung erzielen und auch im 15. Artikel über das Abendmahl war man sich einig in der Ablehnung des Messopfers, auch über die Notwendigkeit, das Abendmahl schriftgemäß in beiderlei Gestalt, also mit Brot und Wein zu feiern. Man war sich auch einig in der Ablehnung der katholischen Vorstellung von der Wandlung der Elemente von Brot und Wein in Leib und Blut Jesu Christi.

Aber ein wichtiger Unterschied ließ sich einfach nicht aus dem Weg räumen und wurde beim Auseinandergehen in Marburg als kirchentrennend angesehen, hatte also die Aufspaltung in die lutherische und die reformierte Kirche zur Folge.

Während Luther an der traditionellen Lehre von der leiblichen Gegenwart Christi in Brot und Wein des Abendmahls festhielt, verstand Zwingli die Abendmahlsfeier als symbolische Gedächtnishandlung.

Oft wird Luthers Kritik an Zwingli zitiert: „Ihr habt einen andern Geist als wir“, aber dieser im Marburger Schloss gesprochene Satz ist nicht einfach eine grundsätzliche, schroffe Zurückweisung des Schweizer Theologen Zwingli, sondern der Satz bezieht sich konkret auf die unterschiedliche Auffassung von Geist, die eine Annährung von Luther und Zwingli verhinderte.

„Der Geist ist es, der lebendig macht, das Fleisch ist nichts nütze.“

Dieses Jesus-Wort aus dem Johannesevangelium (6,63) könnte geradezu als Motto über der Theologie Zwinglis stehen. Zwischen dem Geist einerseits, sei es der Geist Gottes, sei es der ihm verwandte Geist des Menschen, und dem Stofflichen, Leiblichen, Sinnlichen, eben dem „Fleischlichen“ andererseits bestand für ihn ein großer Gegensatz, ein tiefer Graben. Der Geist teilt sich letztlich nur dem Geist mit, „Geist lehrt Geist“, sagt Zwingli. Und der Geist bedarf dazu nicht sinnlich-materieller Mittel, sowie umgekehrt etwas Materielles, Sinnliches nie zu einem Medium, zu einem Gefäß des Geistigen werden kann. Deshalb ist auch die Begegnung zwischen Gott und Mensch in erster Linie eine geistige; äußere, leiblich-sichtbare Zeichen wie die Taufe und das Abendmahl können dabei keine entscheidende Rolle spielen. Wenn in den Einsetzungsworten des Abendmahls von Leib und Blut Jesu Christi die Rede ist, dann ist das nach Zwingli bildlich, gleichnishaft zu verstehen, nicht: Das ist mein Leib, sondern das bedeutet mein Leib.

„Der Geist ist es, der lebendig macht, das Fleisch hilft nichts.“

Von diesem Jesus-Wort her war es für Zwingli unmöglich, dass im Abendmahl der Leib und das Blut Christi wirklich gegenwärtig sind. Entscheidend ist vielmehr, dass wir im Glauben Christus begegnen und ihn in diesem Sinne geistig „essen“.

Und deshalb ist jedes Abendmahl nur ein Erinnerungs-, ein Gedächtnismahl an Christi Kreuzestod. Es ist ein Bekenntnisakt, in dem ich mich zu Christus und zur Gemeinde bekenne und mich verpflichte, christlich zu leben.

Für Martin Luther war das Abendmahl viel mehr als ein bloßes Erinnerungsmahl.

Luther wusste und spürte ebenso deutlich wie Zwingli, dass die Worte „Das ist mein Leib“ der Vernunft anstößig sind. Zwingli glaubte, diesen Anstoß beseitigen zu dürfen oder zu müssen, für Luther blieb Gott letztlich immer unbegreiflich, ein Geheimnis; und er hält Zwingli entgegen: „Gottes Weg ist in vielen Wassern und man sieht seine Fußstapfen nicht; wenn wir seine Wege sähen, dann wäre er nicht unbegreiflich, er ist aber ein wunderlicher Gott.“

Zu Beginn des Religionsgesprächs im Marburger Schloss schrieb Luther in großen Buchstaben mit Kreide auf den Tisch: „Das ist mein Leib!“ Er zog eine Decke darüber, um sie aber im entscheidenden Moment wieder wegzuziehen und die Worte als Beweismittel gegen Zwingli anzuführen. Luther brachte damit zum Ausdruck, dass er sich an das Bibelwort gebunden fühlte. Da stehe eindeutig „ist“ und nicht „bedeutet“, und deshalb seien Leib und Blut Christi im Abendmahl wirklich gegenwärtig. Außerdem verstehe Zwingli das von ihm so oft zitierte Jesus-Wort falsch: „Fleisch“ meine hier nicht das Materiell-Leibliche als solches, sondern den ganzen Menschen, sofern er ohne Gott auf sich selbst gestellt sein will und sich in der Sünde gegen Gott verschließt. Der Wittenberger war weiter der Auffassung, dass Christus nach seiner Auferweckung an der Allgegenwart Gottes teilnehme, so dass er zwar im Himmel, aber auch bei uns auf der Erde, also in Brot und Wein sein könne.

Das alles mag sehr kompliziert klingen, aber Luther ging es Zwingli gegenüber um etwas ganz Einfaches: Er wollte in seinen Anfechtungen und Zweifeln Gewissheit – Gewissheit darüber, dass Gott mir gnädig ist, es wirklich gut mit mir meint. Und Gott gibt nach Luther dem Menschen solche Gewissheit nicht nur rein geistig, sondern in äußeren, sichtbaren, leiblichen Zeichen: in dem menschgewordenen Christus, im mündlich zugesprochenen Vergebungswort und eben auch in den Zeichenhandlungen von Taufe und Abendmahl. Gott selbst steigt gleichsam in diese Zeichen und steigt so in die Tiefen unseres Lebens herab, da kann ich ihn im Glauben wirklich fassen und sehen, dass er für mich da ist. Darum war es für Luther so wichtig, dass im Abendmahl Christus wirklich gegenwärtig ist, er sich uns wirklich darbietet und nicht nur wir uns an ihn erinnern.

Das Abendmahl ist – gerade auch biblisch gesehen – mehr als bloße Erinnerung, mehr als bloße symbolische Handlung und Gleichnis. Das bloße Erinnern, das Gedächtnis wäre etwas, das wir selbst leisten müssten, das darum von uns abhinge.

Im Abendmahl aber handeln nicht zuerst wir gegenüber Gott, sondern zuerst handelt Gott an uns. Nur wenn Christus leibhaftig gegenwärtig ist, lässt er sich auch jenseits von unserer eigenen Glaubensstärke und unabhängig von unserer individuellen Denkkraft von uns finden. Das war für Martin Luther in allen Anfechtungen unverzichtbar wichtig, dass wir nicht auf uns selbst und unsere angefochtene Seele zurückgeworfen sind, sondern dass wir durch die leibhaftige Gegenwart Christi aus uns selbst herausgeführt werden und auf Christus ausgerichtet werden.

Längst spüren Sie, liebe Gemeinde, auf welcher Seite ich mich wiederfinde, aber das nicht etwa, weil ich als Pfarrerin einer evangelisch-lutherischen Gemeinde nicht anders reden dürfte.

Mir ist vor allem anderen wichtig, dass wir das Abendmahl unbeschwert miteinander feiern und gerade nicht die Hürde aufbauen, wir müssten uns erst in allen dogmatischen Fragen völlig einig sein und genau verstanden haben, wie Christus in, mit und unter Brot und Wein gegenwärtig ist, bevor wir an den Altar treten.

Martin Luther ging es ja gerade darum, dass das Geschenk des Abendmahls nicht von etwas in uns abhängig ist.

Darum würde ich es als Hochmut empfinden, das Geheimnis des Abendmahls zunächst bis ins Letzte ergründen zu wollen, bevor wir bereit sind, es zu feiern, es miteinander zu feiern.

Das wichtigste ist für mich die Einladung Jesu Christi, dieses Mahl zu feiern, diese Einladung, die er uns ohne dogmatischen Beipackzettel einfach so zugetraut oder sagen wir zugemutet hat.

Ich möchte mein Abendmahlsverständnis nicht über und nicht vor die Einladung Jesu Christi stellen.

Ich traue seiner Einladung sehr viel zu. Ich traue der Abendmahlsfeier sehr viel zu. Ich bin überzeugt, dass das Abendmahl ein Mahl der Einheit ist und Einheit stiftet auch zwischen Menschen mit unterschiedlichen Abendmahlsvorstellungen im Kopf.

Ich bin überzeugt, dass das Abendmahl auch ein Mahl der Heilung der verlorengegangenen Einheit ist.

Darum bin ich dankbar, dass 1973 – endlich – die Leuenberger Konkordie eine Überwindung der gegenseitigen Lehrverurteilungen in der Abendmahlslehre brachte und den Weg zur Kirchengemeinschaft zwischen evangelisch-lutherischen und evangelisch-reformierten Christen freimachte.

Ich gehe aber noch weiter und spreche meine Überzeugung aus, dass das Abendmahl ein Mahl der Einheit, ein Mahl der Heilung ist auch zwischen den unterschiedlichen Abendmahlslehren der evangelischen und der katholischen Kirche.

Ich empfinde es als Hochmut und auch als mangelndes Gottvertrauen, dass wir Gott nicht im Mahl der Einheit heilend und verbindend an uns handeln lassen, sondern unsere eigene Abendmahlslehre wichtiger nehmen als die Einladung Jesu Christi.

Weil Jesus Christus der Gastgeber ist, ist eine Verweigerung der ökumenischen Gastfreundschaft eine Verweigerung, ihn heilend und verbinden handeln zu lassen. Darum verstehe ich so gut, dass es Luther so sehr darauf ankam, Gott als den im Abendmahl an uns Handelnden zu sehen.

Am Gründonnerstag 1518 hatte Luther in einer Predigt über die rechte Vorbereitung zum Abendmahl einen vielbeachteten Satz ausgesprochen: „Soviel wirst du empfangen wie du zu empfangen glaubst … Der Glaube allein ist die beste und einzige Bedingung, weil er nicht auf unsere Werke oder Kräfte baut, sondern auf das absolut reine und beständige Wort Christi: ‚Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid‘.“

Und Glaube meint nichts anderes als Vertrauen, Zutrauen in die heilende und verbindende Kraft, mit der Gott im Abendmahl an uns wirken will.

Amen.

Pfarrerin Silke Alves-Christe
Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde

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