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Zu was sind wir befreit?

Predigt gehalten von Pfarrer Andreas Klein am 2. Advent, 10. Dezember 2017 um 10.00 Uhr in der Bergkirche.

 

 

Liebe Gemeinde,

vor den zertrümmerten Mauern des Tempels in Jerusalem steht ein Priester und hebt die Hände. Hinter ihm stehen jüdische Männer und in einigem Abstand auch Frauen und Kinder. Es sind Überlebende vielleicht auch – wir können das nicht genau bestimmen – solche Menschen, die aus der Gefangenschaft wieder heimgekehrt sind und voller Schrecken gesehen haben, wie sehr alles zerstört wurde. Ja, sie leben noch – aber das ist irgendwie auch alles.

 

Da hebt der Priester seine Stimme und singt: Ein langes Klagelied, ein Psalm, im Prophetenbuch Jesaja hat er seinen Platz gefunden. Wir hören ihm zu.

15 Herr, schau doch herab vom Himmel, von deinem heiligen und majestätischen Thron! Warum setzt du dich nicht mehr mit ganzer Kraft für uns ein? Wo sind deine großen Taten? Warum hältst du dich zurück? Schlägt dein Herz nicht mehr für uns? Ist deine Liebe erloschen? 16 Du bist doch unser Vater! Abraham weiß nichts von uns, und auch Jakob kennt uns nicht. Du, HERR, du bist unser Vater. »Unser Erlöser« – so hast du von jeher geheißen.

17 Warum lässt du uns vom richtigen Weg abirren? Warum hast du uns so eigensinnig werden lassen, dass wir keine Ehrfurcht mehr vor dir haben? Bitte, wende dich uns wieder zu! Wir sind doch immer noch deine Diener, das Volk, das dir gehört. 18 Für kurze Zeit haben die Feinde dein heiliges Volk vertrieben und dein Heiligtum zertreten. 19 Es geht uns so, als hättest du nie über uns geherrscht, als wären wir nie das »Volk des Herrn« gewesen! Ach, Herr, reiß doch den Himmel auf und komm zu uns herab! Lass vor deiner Erscheinung die Berge ins Wanken geraten!

Es scheint, als wolle der Priester mit seinem Gesang Gott bei seiner Ehre packen. Was sollen die Leute denken, wenn sie uns so sehen? Was sollen die Völker dieser Welt vom Gott Israels denken, wenn er sein Volk in der Not so allein lässt.

Es scheint, als wolle er mit seinem Klagegesang Gott bei seiner Liebe behaften. Bist du ein unbewegter Beweger, der am Anfang der Schöpfung einen Startimpuls gab, und dem das Schicksal dieser Welt egal ist? Oder bist du unser Vater, dessen Herz für uns geschlagen und dessen Liebe für uns gebrannt hat?

Es scheint aber auch, als wolle der Priester Gott für die ganze Situation verantwortlich machen: Gott, du hast uns so eigensinnig (verstockt, sagt Luther) werden lassen, dass keine Ehrfurcht vor dir haben. Merkt er nicht, dass damit dem Menschen alle Freiheit und Verantwortung genommen ist?

Aber es ist wunderbar, dass das so überliefert ist. Dass die Bibel diesem Klagen und Argumentieren Raum gibt, das Vorwürfe macht, Liebe für sich beansprucht, Hoffnung für sich haben will. Laut und ungerecht, mit dem völligen Verzicht auf akademische Ausgewogenheit, die eigenen Anteile nicht einberechnend. Wie ein wütender junger Mensch, der merkt, wie ungerecht und hart die Welt ist, wenn die Kindheit vorbei ist und der seinen Schrei der Verzweiflung in diese Welt lässt.

Viele Jahre später sitzt Jesus mit seinen Jüngern zusammen. Sie kennen sich schon gut mittlerweile, sind ja schon drei Jahre unterwegs. Was kommt denn auf uns zu, haben sie gefragt – und auf diese ganze Welt. Bricht mit dir das Reich Gottes an und der Friede für die Welt? Die Antwort, die Jesus ihnen gibt, ist schonungslos realistisch: Die Kräfte in dieser Welt, die es nicht gut meinen, sind groß. Und er redet von Kriegen und Unruhen, von Erdbeben, Hungersnöten und Seuchen. Und er redet davon, dass das noch einmal geschehen wird, was der Priester in seinem Klagelied besingt. Jerusalem wird wieder zerstört werden; auch der zweite Tempel wird kein ewiger Tempel sein.

Und trotzdem; diese Zeit des Schreckens wird die Zeit der Wiederkunft des Menschensohns sein. Friedrich Hölderlin wird diese Dynamik später im Gedicht kondensiert haben: „Da wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch“, aber hier ist es eine sehr konkrete Hoffnung und Haltung, die daraus erwächst. In all dem, trotz allem:

„Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“

Worin sind wir?

Wir stellen uns heute, in diesem Gottesdienst am 2. Advent, der eben auch die zweite Ankunft Gottes am Ende der Zeit in den Blick nimmt, in die Spannung beider Erzählungen und Texte hinein.

Da ist das Klagelied des Volkes angesichts des zerstörten ersten Tempels. Der offene Appell an die Liebe Gottes, sich den Menschen zuzuwenden, den Himmel aufzureißen und zu seinem Wort zu stehen. Da wird Gott in die Verantwortung genommen, sogar für das menschliche Versagen wird er haftbar gemacht, er wird bei seiner Ehre gepackt – doch wieder zu helfen.

Und da ist die Ansage der erneuten Katastrophe – kein „wird schon alles gut werden“, sondern ein schonungsloser Realismus – und am Ende eine Ermutigung in dieser Situation. Eine Haltung des Mutes, aufrecht. Erhebt eure Häupter.

Das verbindet beide Texte. Angesichts existenzieller Krisen und geschehener und bevorstehender globaler Katastrophen könnte der Mensch in eine hilflose Haltung kommen, in der er die Nüstern schnaubt wie ein Pferd und sagt: Na, was soll man als einzelner Mensch denn machen?

Interessant ist: In beiden Texten – im Evangelium von heute wie im Predigttext aus dem Jesajabuch kommt das Wort von der Erlösung vor.

Das Klagelied nennt Gott einen Vater und hofft auf seine Liebe und es nennt ihn:

Du, HERR, du bist unser Vater. »Unser Erlöser« – so hast du von jeher geheißen.

Und das Evangelium sagt es so:

Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.

Was ist denn mit Erlösung gemeint? Am Ende ist der Tod Erlösung, so steht es auf Traueranzeigen – aber darüber müssten wir nicht reden, das ist ja keine Handlungsoption. Was ist mit Erlösung gemeint, auf die ein neues verantwortetes Glauben und Tun folgen kann?

Von was und wie soll uns Gott erlösen?

Drei Phantasien dazu.

  1. Von der Alternative „Schlecht-Reden vs. Schön-Trinken“

Ich weiß nicht, ob es ein Land gibt, das so wie Deutschland in der Lage ist, die Situation des bisher größten Wohlstandes der Geschichte, z.B. der besten Aussichten ein Krankenhaus gesund wieder zu verlassen zu verbinden mit dem Klagelied des Lamentierens, wie schlimm alles ist: Mit AfD und GroKo und Jamaika und den Nachrichten der verrückten Herrscher Kim und Donald. Wir kriegen es, wie kaum ein anderes Land fertig, zwischen dem „Schlecht-Reden“ bei jeder Gelegenheit und dem „Schön-Trinken“ mit Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt willenlos hin und her zu pendeln, ohne Mitte, Ziel und Absicht zu finden.

Ich finde wir müssten aus dieser Haltung erlöst werden in eine qualifizierte Dankbarkeit hinein, die die Gaben unseres Lebens wertschätzt, verbunden mit einer klaren Sicht, wofür wir die Kräfte intensivieren müssen. Nämlich für einen gerechten Welt-Handel und ökologische Wirtschaft und für eine Besteuerung der Finanzgewinne, weil jetzt schon absehbar ist, dass mit der Hände Arbeit nicht mehr alle Menschen Einkommen finden.

Und zweitens, wir müssten erlöst werden:

  1. Von der Suche nach Schuldigen und der Phantasie die Welt retten zu können

Vielleicht pendeln wir auch hier. Das Klagelied ist an dieser Stelle völlig hilflos, in der es Gott als dem Urheber des menschlichen Eigensinns die Verantwortung zuweist sich selbst davon dispensiert. Die Suche nach Schuldigen ist in unserer komplexen Welt weder ertragreich noch zielführend. Wer klar denken kann, trägt Verantwortung für sein Tun. Und wer Handlungsmöglichkeiten hat, umso mehr. Und gleichzeitig muss das Ziel nicht sein, die Welt retten zu können. Die Mutlosigkeit angesichts der Wirkungsschwäche des Tuns wäre ja vorprogrammiert.

In dieser Woche habe ich gehört, dass die Reformationsfeierlichkeiten der Evangelischen Christen in Polen – das sind insgesamt 80.000 Menchen überschrieben waren mit dem Motto: „Wir verändern diese Welt!“ Das ist Senfkornglaube und Sauerteiglogik und das mag ausreichen.

Und drittens müssten wir erlöst werden...

  1. Von der Ungeduld, die nicht warten kann, und von der Geduld, die nichts mehr hofft.

Unser Glauben ist doch keine Pendelbewegung zwischen Optimismus und Realismus, sondern hat eine Ausrichtung, die von einer anderen Bewegung her kommt.

Gott pendelt nicht.

In Weihnachten wird er ein Kind. Verletztbar, verwechselbar – ist das nicht der Sohn Josefs. Anfechtbar. Aber eindeutig – so bekennt es am Ende der römische Hauptmann. „Dieser ist wahrhaftig Gottes Sohn gewesen.“ Am Ostermorgen haben ihn die Frauen nicht gefunden – und das Gerücht ist nicht aus der Welt zu kriegen: Er ist auferstanden. Sein Geist befreit uns und gibt uns Mut.

Da mag unser Glaube und unsere Hoffnung angesichts dieser Nachrichten immer wieder schwinden, aber unsere Basis ist nicht die Tagesform unserer Einschätzung, sondern diese Grundlage:

Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.

Zu was sind wir dann befreit?

Ich kann es nicht schöner sagen als Hanns-Dieter Hüsch

Ich bin vergnügt,
erlöst,
befreit.
Gott nahm in seine Hände
meine Zeit
mein Fühlen, Denken,
Hören, Sagen,
mein Triumphieren
und Verzagen,
das Elend
und die Zärtlichkeit.

Was macht, dass ich so fröhlich bin
in meinem kleinen Reich?
Ich sing und tanze her und hin
vom Kindbett bis zur Leich.

Was macht, dass ich so furchtlos bin
an vielen dunklen Tagen?
Es kommt ein Geist in meinen Sinn,
will mich durchs Leben tragen.

Was macht, dass ich so unbeschwert
und mich kein Trübsinn hält?
Weil mich mein Gott das Lachen lehrt
wohl über alle Welt.

Amen

Fürbittengebet

Treuer Gott,

du lädst uns ein, mit dir zu reden, so wie Kinder mit Eltern reden. Vertrauensvoll – Abba, lieber Vater – dürfen wir sagen. Und du tröstest, wie einen seine Mutter tröstet.

Danke für diese Worte.

Dann darf also auch unsere Klage und Bitte, emotional und leidgeprüft ist, einfach zu dir kommen. Sie muss sich nicht prüfen lassen, ob sie ausgewogen ist und auch das Gute gegen gerechnet hat. Sie darf bei dir einfach raus.

Und unsere Klage muss sich auch nicht fragen lassen, ob es anderen Menschen nicht viel besser geht und wir lieber bescheiden den Mund halten. Nein, weil wir wie Kinder reden dürfen, dürfen wir dir alles sagen.

Was uns betrifft und andere Menschen. Solche Menschen unseres Herzens und solche, die wir nicht kennen – wie die Milllionen auf der Flucht, in der Angst um das Überleben, für alle die gefangen sind und alle, die keinen Ausweg sehen.

Und so wollen wir dir in der Stille Orte nennen und Menschen an diesen Orten – und deinen Schöpfung, die niederliegt. Und dich bitten, wenn diese Orte vor dem Auge unseres Herzens erscheinen.

Komm du – komm du hinein.

 

 

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